Brasiliens Produktionsvorteile
Der neue König auf dem Zuckermarkt
Von Alexander Busch
Bereits heute ist Brasilien der größte Produzent und Exporteur von Zucker und Alkohol – und hat das größte Potenzial für neue Anbauflächen. Jetzt wollen auch europäische Konzerne vor Ort investieren.
sha HB SÃO PAULO. Er gilt in der Branche als der „Gentleman“. Ein schmaler Mann, korrekt gekleidet im dunklen Anzug. Glatze, Brille, Anfang 50. Er redet leise, ernst. Ein dünnes Lächeln setzt er auf, wenn er ein Argument besonders eloquent präsentiert – und das macht er meistens. Plinio Mario Nastari hatte Brasiliens historischen Sieg gegen die EU vorbereitet: Gemeinsam mit Thailand und Australien griff sein Land die EU-Zucker-Regelung vor der WTO in Genf an. „Vorher galten die subventionierten Zuckerexporte aus der EU als unmoralisch“, sagt Nastari und lächelt fein, „jetzt sind sie illegal.“
Seit 20 Jahren bewegt sich der Lobbyist Nastari zwischen seinem Forschungs-Institut in São Paulo und den Schaltzentren des internationalen Zuckermarktes, zwischen Genf, Washington, Brasilia und Brüssel. Trader, Investmentbanken und Verbände lesen seine Prognosen über die Entwicklung des Zucker- und Ethanol-Marktes. Wie kaum jemand sonst kennt er die brasilianischen Zuckerproduzenten. Schwerreiche Dynastien sind das, fast alle Konzerne sind in Familienbesitz. Nur Insider kennen die Namen und wissen, wer wo investiert, wer mit wem fusionieren will. „Kaum eine Branche in Brasilien ist so diskret wie der Zucker“, sagt Nastari.
Die intimen Kenntnisse sind wichtig, denn hier entscheidet sich die Zukunft der Branche: Bereits heute ist Brasilien der größte Produzent und Exporteur von Zucker und Alkohol – und hat das größte Potenzial für neue Anbauflächen. Kaum ein anderes Land kann so schnell seine Produktion ausweiten: In fünf Jahren – so erwartet Nastari – wird Brasilien 24 Mill. Tonnen Zucker exportieren. Heute sind es etwas mehr als 16 Mill. Tonnen.
Und dann der Preisvorteil: Derzeit kostet eine Tonne Zucker in Brasilien, gewonnen aus Zuckerrohr, rund 160 Dollar, mit weiter sinkenden Produktionskosten. In Europa veranschlagen die Konzerne für eine Tonne Zucker aus Rüben rund 700 Dollar. Den Liter Alkohol brennen die brasilianischen Destillen für rund 20 Cents, in Europa ist das dreimal so teuer. Wegen der hohen Ölpreise und den Klimaschutzmaßnahmen nach dem Kyoto-Abkommen wird Ethanol als alternativer Treibstoff oder zur Beimischung beim Benzin auf den Weltenergiemärkten wichtiger. Nastari rechnet damit, dass Brasilien 2010 bereits 6 Mrd. Liter exportieren wird – und im eigenen Land rund 22 Mrd. Liter zum PKW-Antrieb nutzen wird.
Im Unterschied zu fast allen Produzenten weltweit hält sich der brasilianische Staat aus dem Zuckergeschäft heraus. „Neben Australien ist Brasilien das einzige Land der Welt, das seine Zuckerproduktion nicht schützt, reglementiert oder subventioniert“, triumphiert Nastari, „unser lokaler Zuckerpreis ist der des Weltmarktes.“ Also genau das Gegenteil von Europa. Die europäische Zuckerordnung, ein regulatives Monsterwerk, garantiert Bauern und den Zuckerherstellern feste Preise und Mengen. Das Nachsehen haben die Konsumenten und industriellen Verarbeiter von Zucker, also die Softdrinkhersteller und Süßwarenkonzerne: 6,3 Mrd. Euro zahlen europäische Verbraucher mehr für Zucker als sie müssten, fand der Europäische Rechnungshof heraus.
Na und? „Wir sind doch jahrzehntelang gut mit unserem Modell gefahren, warum sollen wir das ändern?“, pocht die Lobbyistin eines der größten europäischen Zuckerkonzerne auf den Status-Quo. Die sportliche Dame mit dem Kurzhaarschnitt ist der europäische Gegenpart von Nastari. Sie ist bei den WTO-Verhandlungen dabei, begleitet deutsche Agrarminister auf Auslandsreisen – immer auf der Hut, dass sie sich nicht gegenüber gewitzten Unterhändlern aus dem Süden zu etwas verpflichten, was der eigenen Industrie schaden könnte. Mit ihrem Namen möchte sie aber nicht in der Zeitung genannt werden, das Thema Brasilien sei zu heikel im Haus.
Die Lobbyistin erklärt den Wettbewerbsvorteil des Zuckers aus Brasilien mit den „teilweise niedrigeren Standards im Sozialen und der Umwelt“. Die Subventionierung des Ethanols in Europa zum künftigen alternativen Treibstoff? „Da machen wir genau das, was die Brasilianer auch gemacht haben.“ Der unregulierte Zuckermarkt in Brasilien? „Die sollen aufhören, sich als armes Entwicklungsland aufspielen, die sind eine echte Agrarmacht.“
Doch ähneln die Argumente einstudierten Scheingefechten, die vor allem der Positionierung in der aktuellen WTO-Handelsrunde dienen. Doch die eigentliche Schlacht ist längst geschlagen: Inzwischen wollen die europäischen Zuckerkonzerne selbst in Brasilien investieren. Gelungen ist das bisher nur den französischen Gruppen Louis Dreyfus und Beghin-Say.
Aber auch Südzucker und Nordzucker, die beiden deutschen Marktführer, sowie British Sugar bekunden Interesse an Investitionen in Brasilien –um von den bislang geschmähten Vorteilen des Standortes zu profitieren? „Abstrakt betrachtet“ und „langfristig gesehen“ – so die Lobbyistin – „wird das so sein.“
EU-Zuckerreform
Zucker wird in Europa billiger. In den kommenden vier Jahren sinkt der staatlich festgelegte Zuckerpreis um insgesamt 36 Prozent - allerdings ist er dann noch immer fast dreimal so hoch wie der Weltmarktpreis. Ansonsten ändert sich mit dem EU-Zuckerabkommen vom November 2005 für die Zuckerindustrie wenig. Weiterhin wird der Markt abgeschottet, ein kompliziertes Quotensystem regelt den Zugang. Zudem wird der Zuckerindustrie der Einnahmeausfall durch Ausgleichzahlungen von 6 Mrd. Euro versüßt.
Agrarreform
Weniger Preissubventionen, dafür direkte Hilfen – so sahen alle Agrarreformen aus. Seit der jüngsten EU-Agrarreform 2003 gilt das auch für Getreide und die meisten Agrarprodukte. Bei Zucker hinkt die EU hinterher.
Ernte der Reform
Egal ob den Bauern die Ernten überteuert abgekauft werden oder ob sie ihre Subventionen nach ihrer Hektarzahl erhalten, die Wirkung ist gleich: Die Landwirte werden erst dank der Subventionen wettbewerbsfähig. Und an der Höhe der EU-Agrarsubventionen hat sich nichts geändert, im Jahr fast 50 Mrd. Euro.
Weltweiter Rekord
Damit ist Europa Rekordhalter. Die EU-Landwirte beziehen nach Berechnung der OECD 34 Prozent ihres Einkommens aus staatlichen Töpfen, in den USA sind es 17 Prozent, in Brasilien nur drei Prozent.
Gewinner Brasilien
Brasilien wäre von den 30 OECD-Mitgliedern der größte Gewinner einer Liberalisierung der Agrarmärkte. Schon heute sind ein Drittel der Exporte Agrarprodukte. Eine weltweite Kürzung der Zölle und Subventionen um 50 Prozent würde Brasilien laut OECD einen Wohlfahrtsgewinn von 1,7 Mrd. Dollar bescheren.