SPIEGEL ONLINE - 02. August 2002, 13:36
URL: www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,207845,00.html
Bonusmeilen-Kampagne
Die Spur führt nach Düsseldorf
Von Markus Deggerich
Der Bund der Steuerzahler wusste seit vergangenem Herbst von Freiflügen mit Bonusmeilen und schwieg. Der damit beschäftigte Mitarbeiter arbeitet nun für Möllemanns FDP in Nordrhein-Westfalen. SPD und Grüne vermuten eine Kampagne. Denn bisher wurde kein FDP-Abgeordneter in der Bonusmeilen-Affäre öffentlich belastet.
AP
Wieder Ärger aus seiner Fraktion: Jürgen Möllemann
Berlin - Der FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen hat wieder Ärger mit einem Mitarbeiter aus seiner Fraktion. Nach der Antisemitismusdebatte gerät Jürgen Möllemann nun auch in der Bonusmeilen-Affäre unter Druck. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering erwartet nun eine Erklärung von dem Liberalen. Denn wenn der FDP-Vizechef seit wenigen Tagen einen Mitarbeiter hat, der vom Steuerzahlerbund kommt und angeblich eine Liste mit unrechtmäßigen Privatflügen der Abgeordneten habe, müsse Möllemann sich dazu äußern, sagte Müntefering am Freitag in Berlin. Der Mitarbeiter, dessen Name mit Axel Müller angegeben werde, habe "offensichtlich illegal besorgtes Material" an die "Bild"-Zeitung weitergegeben.
Müntefering kritisierte erneut das Vorgehen des Bundes der Steuerzahler. Der habe zum Thema Bonusmeilen bereits im vergangenen Herbst "Briefe fragender Art an den Bundestag gerichtet". Die Anfrage, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, stammt tatsächlich vom 11. Oktober 2001. Die Antwort des Bundestags richtete sich nach Informationen von SPIEGEL ONLINE auch tatsächlich an einen Axel Müller im Präsidium des Bundes der Steuerzahler.
Die FDP in Nordrhein-Westfalen bestätigte, dass Axel Müller nun für sie arbeitet. "Er unterliegt aber sowohl für seine alte wie für seine neue Tätigkeit der Verschwiegenheitspflicht", teilte die NRW-FDP mit. Müller arbeitet seit dem 1. August als Referent für Wirtschafts- und Verkehrspolitik in der FDP-Fraktion. Beim Bund der Steuerzahler war er zuvor Leiter der Abteilung Ausgabenwirtschaft und Finanzpolitik im Präsidium.
Müller schrieb bereits am 11. Oktober 2001 an den Bundestag und erklärte, es "liegen konkrete Hinweise darauf vor, dass Abgeordnete des Deutschen Bundestages Meilengutschriften (...) für Privatreisen genutzt haben". Am 1. November antwortete die Bundestagsverwaltung, dass ihr keine Verstöße gegen Verfahrensregeln beim Bonusprogramm bekannt seien.
Müntefering klagt nun, der Verband müsse sich fragen lassen, warum die Informationen nicht bereits im Oktober Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zugeleitet worden seien. Der SPD-Generalsekretär vermutet hinter dem zurückgehaltenen Wissen "eindeutig eine Kampagne".
Der Verband bestätigte am Freitag, es habe Gespräche mit dem Boulevardblatt gegeben, "bei denen deutlich wurde, dass es auch dort Hinweise auf den Missbrauch von Bonusmeilen" durch Bundestagsabgeordnete gegeben habe. Sein eigenes Wissen habe man durch anonyme Hinweise erlangt. Der Steuerzahlerbund lehnte jedoch jede Verantwortung für die Veröffentlichung von Namen ab.
FDP dementiert Zusammenhänge
FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper wies Mutmaßungen zurück, die Liberalen steckten hinter der Ausforschung von Abgeordneten in der Bonusmeilen-Affäre. Sie sagte am Freitag in Berlin, der neue Wirtschaftsreferent der von FDP-Vize Jürgen Möllemann geführten Düsseldorfer Landtagsfraktion habe seine Erkenntnisse im dienstlichen Auftrage des Bundes der Steuerzahler gewonnen, für den er bis zum 31. Juli gearbeitet habe.
Die FDP lasse sich nicht in Dinge hineinziehen, mit denen sie nichts zu tun habe. Der Mann sei ohne Kenntnis dieses Hintergrunds von der FDP eingestellt worden. Pieper räumte ein, von der Aufdeckung dieser Zusammenhänge selbst überrascht worden zu sein. Zur Frage, warum bisher keine FDP-Abgeordneten in der Öffentlichkeit genannt worden seien, äußerte sie sich nicht.
Der Vizepräsident des Bundes der Steuerzahler, Dieter Lau, hatte jedoch im ARD-Magazin "Kontraste" am Donnerstagabend erklärt, dass "Abgeordnete aller Parteien davon betroffen" seien.
Deshalb ist auch der Parteichef der Grünen, Fritz Kuhn, sauer: "Ich frage mich: Ist es tatsächlich Zufall, dass bislang kein FDP-Abgeordneter von der Bild-Zeitung als Freiflieger geoutet wurde, obwohl laut Vizepräsident des Steuerzahlerbundes auch die FDP davon betroffen ist? Angesichts der ominösen Umstände fordere ich die Bundes-FDP und ihren Vorsitzenden Guido Westerwelle auf, umgehend aufzuklären, ob diese Personalie in Zusammenhang steht mit der gegen Rot-Grün gerichteten Kampagne der "Bild"-Zeitung."
Spiel mit gezinkten Karten
Müntefering griff die "Bild"-Zeitung erneut wegen der häppchenweisen Informationen über Privatflieger auf dienstlichen Bonusmeilen an. Diese Strategie "hat schon ein besonderes Geschmäckle", sagte der SPD-Politiker. Er sprach von einem "Spiel mit gezinkten Karten".
Das Verhalten des Verbands sei "ungeheuerlich" und "blanke Heuchelei". "Wer Demokratie will, der muss ein solches Wissen auch öffentlich machen. Und wenn der Steuerzahlerbund sagt, er weiß das schon seit geraumer Zeit, dann ist die Frage um so berechtigter, weshalb man das genau in den Wahlkampf reinschiebt", sagte Müntefering.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, dessen Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) im Zuge der Bonusmeilenaffäre zurückgetreten war, empörte sich ebenfalls: "Es ist gezielt eine Kampagne gestartet und auch bewusst in den Wahlkampf gesetzt worden, um Politiker als Raffkes darzustellen", sagte der SPD-Politiker am Freitag.
Lufthansa wehrt sich
Während nun der Bund der Steuerzahler ins Zentrum der Kritik rückt, wehrte sich die Lufthansa. Das Unternehmen befürchtet durch die Bonusmeilen-Affäre einen Ruf- und Imageschaden. Unternehmenssprecher Klaus Walther verurteilte am Freitag vor Journalisten in Berlin "aufs Schärfste", dass Kundendaten an die Öffentlichkeit weitergegeben worden seien. Dies diffamiere das Unternehmen.
Walther betonte, die Lufthansa habe keine Kundendaten gezielt an die "Bild"-Zeitung weitergegeben und beteilige sich auch nicht am Bundestags-Wahlkampf. "Wir waren und sind nicht die Quelle", sagte Unternehmenssprecher Thomas Jachnow. Solche Vorwürfe seien "absolut absurd". Der Bund der Steuerzahler müsse jetzt die Karten auf den Tisch legen und erklären, wie er an die Liste gekommen sei. Die Lufthansa habe keinerlei Anhaltspunkte für eine undichte Stelle in ihrem Sicherheitssystem.
AP
Zurückgetreten: Gregor Gysi (PDS)
Gleichzeitig wies die Lufthansa die Forderung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse nach der Einleitung rechtlicher Schritte zurück. "Wir sehen keine Möglichkeit, rechtlich in irgendeine Richtung vorzugehen", sagte Jachnow. Da die Daten des "Miles & More"-Programms personenbezogen seien, könnten einzig die von den Veröffentlichungen betroffenen Bundestagsabgeordneten einen Strafantrag stellen.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte die Lufthansa aufgefordert, rechtliche Schritte gegen die Veröffentlichung von missbräuchlich genutzten Bonusmeilen zu erwägen. "Die Lufthansa könnte einen Strafantrag gegen unbekannt stellen und könnte sich besser als bisher dagegen wehren, dass die von ihnen gesammelte Daten plötzlich veröffentlicht werden", sagte Thierse am Freitag.
Er wies erneut darauf hin, dass bei allem Ärger über das Fehlverhalten der Abgeordneten die Maßstäbe gewahrt werden müssten. Wer gegen die Vereinbarung des Bundestags verstoße, dass dienstlich gesammelte Bonusmeilen nicht privat verflogen werden dürfen, verhalte sich ausgesprochen unkollegial: "Es ist aber kein Gesetzesverstoß, kein Verbrechen, keine Wirtschaftskriminalität und insofern auch kein wirklicher Skandal. Der wirkliche Skandal waren die Verstöße gegen das Parteiengesetz, die Wirtschaftskriminalität, die Korruption und die Selbstbedienungsmentalität in den oberen Etagen der Wirtschaft".