In den vergangenen zwei Wochen ist etwas passiert, das Devisenprofis auf den ersten Blick ungewöhnlich fanden: Trotz zunehmender geopolitischer Unsicherheit aufgrund der Entwicklungen in Tunesien, Ägypten und Libyen und dem damit einhergehenden Anstieg der Ölpreise, konnte sich der Euro zum US-Dollar mehr als behaupten – anders als die Aktienmärkte, an denen durch die aktuelle Situation die Hausse eingebremst wurde. Diese Eurostärke ist erstaunlich, denn der US-Dollar gilt in unsicheren Zeiten als Fluchtwährung aufgrund seines Status als "safe haven“, als sicherer Hafen.
Was ist also in dieser geopolitischen Krise anders als in vorhergehenden Krisen? "Momentan überwiegt die Einschätzung am Markt, dass die Europäische Zentralbank noch dieses Jahr in den Zyklus steigender Zentralbankzinsen einsteigt und damit wesentlich früher als die Fed gegen die angestiegene Inflation vorgeht", sagt Torsten Gellert, Managing Director von FXCM Deutschland. Diese Einschätzung begründet sich durch den Auftrag der Europäischen Zentralbank (EZB) für Geldwertstabilität zu sorgen. Wenn die Inflationsrate nachhaltig über 2% steigt, muss die EZB gemäß ihres Auftrags eingreifen - am wirksamsten mit einer Anhebung der Leitzinsen. Die Fed hingegen hat gemäß ihres Auftrages neben der Geldwertstabilität ein zweites Ziel gleichberechtigt zu verfolgen: die Reduzierung der Arbeitslosigkeit.
"Der Aufwärtstrend des Euro ist im Moment noch stabil", sagt der Währungsexperte. "Aber wenn die aktuellen Geschehnisse den Ölpreis weiter steigen lassen und gleichzeitig die Aktienkurse noch deutlicher unter Druck geraten, ist eine Gegenreaktion mehr als wahrscheinlich." Denn dieses Szenario würde die wirtschaftliche Entwicklung abschwächen und damit den Inflationsdruck, trotz der höheren Ölpreise, verringern. Experten schätzen, dass ein Anstieg des Ölpreises um $20 eine Abschwächung von 0,5% des BIP-Wachstums auf Jahressicht bewirkt. Dies würde der EZB den Spielraum einräumen, noch länger die historisch niedrigen Zinsen aufrecht zu erhalten und damit den Grund für den aktuell so erstaunlich starken Euro – die Hoffnung auf steigende Zinsen – beseitigen.
Wann genau diese Gegenreaktion und damit eine Flucht in den Dollar einsetzt, lässt sich kaum voraussagen. Im Jahr 2008 war der Ölpreis bis zur Jahresmitte konstant in Richtung der 150er-Marke geklettert. Als dieser Preisanstieg - zusammen mit der einsetzenden Subprime-Krise - begann, die Wirtschaft einzubremsen und die Aktienkurse zu drücken, wertete das den Dollar deutlich auf. Diese Bewegung wurde durch die Pleite der Bank Lehman Brothers im September und den daraufhin einsetzenden Kursverfall aller Assetklassen noch potenziert.
Dass der grundsätzliche Mechanismus von Flucht-Assets noch funktioniert, das zeigen die Märkte bereits jetzt: Zuletzt hatten Schweizer Franken und Japanische Yen aufgewertet, ebenso die Edelmetalle Silber und Gold. Die Frage scheint also nur zu sein, bei welchem Schwellenwert des Ölpreises und der damit verbundenen Korrektur der Aktienmärkte die bekannte Reaktion eines aufwertenden US-Dollars einsetzt. Den grundsätzlichen Status des Sicheren Hafens hat der Greenback also nicht verloren.