Donnerstag, 06.09.2018 18:15 von Klaus Stopp | Aufrufe: 168

Weber statt Weidmann

Wenn irgendwo ein interessanter Posten frei wird, scharren gewöhnlich Nachfolgekandidaten mit den Hufen. So ist es in der Wirtschaft, so ist es in der Politik und so ist es auch bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Entsprechend hatte sich Jens Weidmann für die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi, der 2019 seinen Chefposten räumen wird, in Position gebracht. Geraderaus, wie der Bundesbankchef nun mal ist, hatte er dabei immer wieder Draghis expansive Geldpolitik kritisiert und sich damit bei den Regierenden der europäischen Südländer nicht nur Freunde gemacht. Dennoch standen die Zeichen für Weidmann günstig. Für den Spitzenposten bei der EZB sprach nicht nur seine unbestrittene Kompetenz, sondern auch der Umstand, dass bisher noch kein Deutscher den Vorsitz bei der Notenbank innehatte. Doch nun, nachdem Manfred Weber seinen Hut für das Amt des EU-Kommissionschefs in den Ring geworfen hat, ist alles anders.

Die Kandidatur ist für Weber kein Selbstläufer

Schon seit Tagen war kolportiert worden, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den im nächsten Jahr anstehenden Neubesetzungen von europäischen Spitzenämtern lieber die Position des EU-Kommissionschefs besetzen wolle, anstatt Weidmann ins Rennen um den EZB-Chefposten zu schicken. So kann man davon ausgehen, dass die Bewerbung des 46-jährigen Niederbayern Weber für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker in Brüssel mit voller Rückendeckung aus Berlin erfolgt. Weber gilt als respektabler Kandidat, der aufgrund seiner sachlichen Art lagerübergreifende Sympathien genießt. Nicht von Ungefähr nennt man ihn auch den „Anti-Söder“, der den liberalen und europafreundlichen Flügel in der CSU vertritt. Dennoch ist die Sache kein Selbstläufer, hängt doch seine Wahl von der Bereitschaft der Mitgliedsstaaten ab, einen Deutschen für das einflussreiche Amt vorzuschlagen und davon, ob Webers Partei auch im neuen EU-Parlament eine absolute Mehrheit für ihren Spitzenkandidaten organisieren kann. Als mögliche Gegenkandidaten gelten der finnische Ex-Premier Alexander Stubb und der derzeitige Brexit-Verhandler Michel Barnier.

Sollte aber Weber zum Kommissionspräsidenten aufsteigen, hätte Weidmann keine Chance mehr auf den Spitzenposten bei der EZB. Prompt reagierten Merkel-Kritiker auf dieses Szenario mit dem Vorwurf, die Kanzlerin würde nicht um Spitzenpositionen in Europa kämpfen. Gilt doch Weidmann als einer, der den deutschen Sparern und Banken die Niedrigzinsphase nicht zugemutet hätte, so nimmt man an. Verzichtet Merkel also gar aus Rücksicht auf Italien, dessen Banken am meisten von faulen Krediten belastet sind, auf Weidmann als Anhänger einer restriktiveren Geldpolitik? Oder hat unsere Bundeskanzlerin hellseherische Fähigkeiten und möchte bewusst vermeiden, dass in der Amtszeit eines deutschen EZB-Präsidenten die Eurozone in ihre Einzelteile zerfällt? Eine Bewertung aller möglichen Varianten beim Besetzen sämtlicher neuer Chefposten auf EU-Ebene kann erst am Schluss erfolgen, zumal auch die Kombination deren Sinnhaftigkeit ausmacht.

Denn zum einen ist die Rolle des EU-Kommissionspräsidenten keine geringe, nimmt er doch großen Einfluss auf europäische Gesetzgebungsverfahren. Und zum anderen könnte auch ein EZB-Präsident Weidmann den von Draghi eingeschlagenen Kurs, der Sparvermögen entwertet hat, nicht von heute auf morgen umdrehen. Entscheidender in der EZB-Causa aber dürfte sein, wer stattdessen die Nachfolge von Draghi antreten würde. Mit Klaas Knot, dem Präsidenten der niederländischen Zentralbank, stünde hier ein Kandidat zur Verfügung, der ähnliche Positionen wie Weidmann vertritt, diese aber diplomatischer äußert. Als aussichtsreichster Kandidat gilt jedoch auch der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau, der die Anleihekäufe der EZB zwar verteidigt hat, aber auch ein Pragmatiker ist.

Rom zeigt Interesse an Posten des obersten Bankenkontrolleurs

Zum Gesamtbild der anstehenden Neubesetzungen von Top-Posten in der EU gehört auch die Nachfolge von Daniele Nouy, der aus dem Amt scheidenden obersten Bankenkontrolleurin für die Eurozone. Zwar hat noch keiner seine Kandidatur angemeldet, doch wird aus Italien kolportiert, dass es in Rom Interesse gibt, die Position zu besetzen. Genannt wird der Chef der EU-Bankenaufsicht, Andrea Enria. Bei dem Gedanken daran, die Verantwortung für die oberste Bankenaufsicht einem Italiener zu übertragen, kann nicht außer Acht gelassen werden, dass in diesem Land die Banken noch faule Kredite in Höhe von 721 Mrd. € mit sich herumschleppen. Daher sei zumindest die Frage erlaubt, ob denn ein Italiener tatsächlich genügend Distanz beim Umgang mit diesen Problemkrediten würde wahren können. Jedoch hat nach jüngsten Berichten die Vize-Gouverneurin der irischen Notenbank, Sharon Donnery, gute Chancen, diesen Job zu übernehmen.

Neben den Chefposten der EU-Kommission und der EZB muss nächstes Jahr auch der Vorsitz des Europäischen Rates neu besetzt werden. Ebenso läuft die Amtszeit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini ab. Das Geschacher geht also erst los!

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Baader Bank AG
Klaus Stopp ist Head of Market Making Bonds bei der Baader Bank AG. Baader betreut an den Börsenplätzen Berlin, Frankfurt und München u.a. den Handel mit Anleihen und betreut Deutschlands führende Anleihen-Website Bondboard.
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