Montag, 06.04.2020 14:12 von Frankfurter Börsenexperten | Aufrufe: 575

"Ist der DAX nach 30 Prozent Verlust ein Kauf?"

Fondsmanager Frank sucht eine Antwort auf die Gretchenfrage, ob es im Moment schon Einstiegspreise seien, argumentiert mit historischen Kursverläufen und rät Anlegern zu einem dicken Fell.

6. April 2020. FRANKFURT (pfp Advisory). "Der März 2019 wird also zumindest nicht als Wendemonat in die Börsengeschichte eingehen. Aber vielleicht der März 2020? Immerhin würde sich dann der New-Economy-Höchststand zum 20. Mal jähren, das wäre doch ein runder Anlass für einen epochalen Wendepunkt.“

Wenn ich heute lese, was ich vor einem Jahr an dieser Stelle geschrieben habe, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Der März 2019 mit seiner Normalität wirkt mittlerweile unendlich weit weg. Und wer kann ausschließen, dass wir einen solchen historisch verlustreichen, epochalen Wendemonat im März 2020 tatsächlich erlebt haben (auch wenn das Allzeithoch bereits im Februar lag)?

Wie geht es jetzt weiter? Und konkret als Investor: Ist jetzt ein guter Einstiegszeitpunkt oder kommen noch tiefere Kurse? Wenig überraschend ist das die Frage, die mir derzeit am häufigsten gestellt wird. Meine Antwort: Wie immer an der Börse gibt es keinen vorgegebenen Pfad, nur Wahrscheinlichkeiten. Gehen wir die Sache also systematisch an. Wie hat sich der DAX (bzw. sein von der Deutschen Bundesbank rückberechneter Vorgängerindex) seit 1960 nach epochalen Abstürzen entwickelt?

Konkret habe ich sämtliche Kursrückgänge von mindestens 30 Prozent seit einem Allzeithoch analysiert. Selbstverständlich ist das eine willkürliche Festlegung, es geht gar nicht anders. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Gegen stärkere Kursrückgänge (z. B. minus 50 Prozent) als Bedingung spricht, dass es dann noch weniger einschlägige Fälle gibt; zudem wäre mir diese Baisse-Definition zu eng. Schwächere Abstürze ermöglichen zwar mehr Beobachtungszeitpunkte, kommen teilweise aber auch in intakten Haussen vor. Überdies schwankt der DAX sehr viel stärker als z. B. seine US-amerikanischen Pendants, weshalb m. E. die „klassischen“ Bärenmarkt-Bedingungen eines Rückgangs von 20 oder 25 Prozent hier nicht sinnvoll anzuwenden sind. 30 Prozent halte ich für einen guten Kompromiss. Das Vorliegen eines Allzeithochs fordere ich deshalb, weil ansonsten umständliche Zusatzregeln für längere Baissen (wie z. B. von März 2000 bis März 2003) nötig wären, in denen mathematisch natürlich sehr viele 30-Prozent-Rückgänge von Verlaufshochs feststellbar sind, was die Ergebnisse extrem verzerren würde. Die Forderung nach einem vorherigen Allzeithoch des Index schließt alle diese Fälle aus und ist leicht zu überprüfen.

Wie hat sich der DAX also seit 1960 nach einem mindestens 30-prozentigen Rückgang von einem Allzeithoch entwickelt? Seit 1960 kam es achtmal vor, dass der Index so stark verlor, konkret nach den Tops von 1960, 1969, 1986, 1990, 1998, 2000, 2007 und 2011. (Für eine wissenschaftliche Analyse wäre diese Datenlage zu dünn, aber ich will ja keine Doktorarbeit schreiben, sondern eine praktikable Handelsregel überprüfen.) Ich habe nun jeweils untersucht, wie sich ein Investment in den DAX rentiert hätte, wenn Anleger zum Schlusskurs an genau dem Tag gekauft hätten, an dem der Index erstmals die 30-Prozent-Schwelle gerissen hätte, und exakt ein, fünf oder zehn Jahre später wieder verkauft hätte.

Die Ergebnisse:

  • Nach einem Jahr hätte das Investment im Durchschnitt 11,3 Prozent eingebracht. Siebenmal landeten Anleger im Plus, nur einmal im Minus.
  • Nach fünf Jahren hätten sie im Mittel 4,3 Prozent pro Jahr verdient. Sechsmal standen sie am Ende im Plus, nur zweimal im Minus.
  • Nach zehn Jahren hätten sie im Schnitt 6,9 Prozent p. a. verdient. Siebenmal erreichten sie die Gewinnzone, kein einziges Mal erlitten sie ein Minus. (Bei den Zehnjahreszeiträumen gibt es nur sieben statt acht Beobachtungen, da der letzte Zeitraum erst im Jahr 2021 enden wird und daher heute noch nicht abgeschlossen ist.)

Fazit: Ein Kauf des DAX nach einem 30-prozentigen Rückgang vom Allzeithoch hätte sich in der Vergangenheit fast immer gelohnt. Nur für ein einziges Einjahresfenster und zwei Fünfjahresfenster gilt das nicht, aber für alle Zehnjahreszeiträume. Mit Ausnahme des Fünfjahreszeitraums wurde dabei der durchschnittliche Ertrag des DAX im Gesamtzeitraum seit 1960 (+5,3 Prozent p. a.) deutlich übertroffen.

Sollte der DAX sich also in Zukunft nicht komplett anders verhalten als in den vergangenen 60 Jahren, sollte sich ein Kauf für Investoren mit mittel- bzw. langfristigem Anlagehorizont auszahlen. Mit recht hoher Wahrscheinlichkeit dürften sie in zehn Jahren, also 2030, in der Gewinnzone stehen, und sogar mehr als den Durchschnittsertrag des DAX verdient haben. Das sind die guten Nachrichten.

Doch es gibt auch schlechte, und die will ich Ihnen nicht vorenthalten. Denn der Weg in die Gewinnzone könnte überaus dornenreich werden. Möglicherweise müssen Sie sich mit der Machete einen Weg durch die Macchie bahnen und sich die Beine blutig kratzen lassen, bevor Sie in den Garten Eden gelangen. Im Schnitt betrug der Verlust bis zum endgültigen Verlaufstief direkt nach dem Einstieg an der 30-Prozent-Schwelle über 20 Prozent. Nur zweimal waren die Anfangseinbußen vernachlässigbar, dreimal lagen sie im noch erträglichen Rahmen zwischen 10 und 20 Prozent. Aber dreimal tat es auch richtig weh: Zwischen 1962 und 1964 hätten Anleger nach dem Kauf rund 25 Prozent verloren, ehe es dann doch endlich nach oben ging, von 2001 bis 2003 sogar schmerzhafte 38 Prozent und von 2008 bis 2009 nicht weniger quälende 37 Prozent. Zwischenzeitliche Verluste dieser Größenordnung halten viele Anleger nach meiner Erfahrung nicht aus.

Angewandt auf die heutige Situation: Der DAX ist von seinem 2020er-Allzeithoch bei (intraday) 13.795 Punkten steil abgestürzt, die 30-Prozent-Schwelle bei 9.656 Punkten wurde bereits am 12. März erreicht. Die obigen Bedingungen sind also erfüllt. Vielleicht sinkt er wie in den Jahren 1990 oder 2011 im Anschluss kaum noch und dreht dynamisch nach oben. Vielleicht verliert er aber auch wie 2001 weitere 38 Prozent auf einen Stand von unter 6.000 Punkten. Der zwischenzeitliche Durchschnittsverlust von über 20 Prozent ergäbe angewandt auf die aktuelle Situation eine Zielzone von rund 7.700 Punkten. Beide Hochrechnungen signalisieren, dass der Boden noch keineswegs erreicht sein muss, das bisherige Intraday-Tief lag bei 8.256 Punkten.

Was also tun?

Wenn auch diesmal nicht alles anders ist, wird der DAX mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahr 2030 höher stehen als heute und Käufern folglich Kursgewinne beschert haben, wahrscheinlich sogar überdurchschnittliche. Wer sowieso langfristig in Aktien bzw. Aktienfonds investieren wollte, dem bietet sich momentan bei einem DAX-Stand nahe der 30-Prozent-Verlustschwelle ein guter Einstiegszeitpunkt. Allerdings sollten Sie in der Lage sein, zwischenzeitlich größere Kursverluste auszuhalten.

von Christoph Frank, 6. April 2020, © pfp Advisory

Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds. Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.


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