Lateinamerika: Pragmatische Populisten

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Lateinamerika: Pragmatische Populisten

 
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Lateinamerika: Pragmatische Populisten (EuramS)


Lateinamerika steht vor einem Linksruck. Mexiko als eines der wichtigsten Länder der Region wird jedoch wirtschaftsfreundlich bleiben. Brasilien läßt grüßen.

von Martin Blümel

Der Präsident betreibt menschenfeindliche, neoliberale Politik", brüllte Andres Manuel Lopez Obrador seinen Anhängern Ende April entgegen. "Wir wollen einen neuen sozialen Pakt, mehr Gerechtigkeit." Eine Million Demonstranten waren auf dem Zocalo-Platz in Mexiko City zusammengeströmt, um ihren Bürgermeister zu hören, den prominentesten Kritiker von Mexikos Staatspräsidenten Vicente Fox. Sie waren begeistert. Obrador badete in tosendem Applaus.

Jetzt, zehn Wochen später, hat der Mann seinen Bürgermeisterposten aufgegeben. Er will sich ganz seiner Kandidatur für das Präsidentenamt widmen, um den amtierenden, wirtschaftsfreundlichen Fox zu beerben. Und auch wenn ihn seine Partei PRD noch nicht nominiert hat: Obrador könnte dank seiner immensen Popularität zum neuen starken Mann Mexikos aufsteigen. Fox dagegen ist Geschichte. Er darf im Juli 2006 nicht mehr antreten, seine sechsjährige Amtszeit endet dann.

Im Ausland macht sich derweil Unsicherheit breit, vor allem in den USA - der große Nachbar ist Mexikos wichtigster Handelspartner. Wer ist dieser Obrador? Ein linker Populist seinen Auftritten zufolge. Hat man es also demnächst mit venezuelanischen Verhältnissen zu tun, mit einem mexikanischen Verschnitt des dortigen Präsidenten Hugo Chavez, der keine Gelegenheit ausläßt, die Vereinigten Staaten zu brüskieren. Oder entpuppt sich Andres Manuel Lopez Obrador, nach seinen Initialen Amlo genannt, als gemäßigter Linker, der ähnlich wie Lula da Silva in Brasilien marktwirtschaftliche Verhältnisse schätzt und fördert?


Der Linksruck jedenfalls - ob nun gemäßigt oder radikal - ist in Mittel- und Südamerika bereits Fakt oder steht kurz bevor. Nicht nur in Mexiko stehen Wahlen an. In Bolivien will Evo Morales an die Macht, in Peru Alan Garcia, in El Salvador Shafik Handal, in Nicaragua Daniel Ortega. Bereits in Amt und Würden sind Hugo Chavez in Venezuela, Nestor Kirchner in Argentinien, Lula da Silva in Brasilien, Tabare Vazquez in Urugay und Ricardo Lagos in Chile. Alles Linkspolitiker, die die noch große Kluft zwischen Arm und Reich in ihren Ländern thematisieren.

Der Aufschwung Lateinamerikas ist durch einige dieser teils extrem rückwärtsgewandten Politiker in Gefahr. Das beliebte Mittel Steuererhöhungen könnte die Konjunktur abwürgen, die in dem einen oder anderen Staat gerade erst langsam in Schwung kommt. Immerhin wuchs die Wirtschaft des Kontinents vor allem dank des weltweit steigenden Bedarfs an Rohstoffen im vergangenen Jahr um sechs Prozent. Das gab es zuletzt vor 20 Jahren. Zugpferde sind die Exportgrößen Brasilien und Mexiko (siehe Grafik). Der Wahl im Tequila-Staat kommt daher so etwas wie eine Schlüsselrolle zu. Schwarzseher und Optimisten halten sich in Sachen Obrador die Waage. Schafft er den Sprung an die Spitze, könnten ausländische Investitionen ausbleiben, die Börse abstürzen und die Landeswährung Peso ins Bodenlose fallen, mutmaßt das US-Wirtschaftsmagazin Barron's. Andere sehen die Auswirkungen auf Mexikos Wirtschaft gelassener und erwarten nur kurzfristige Probleme. "Richtig ist, daß die politischen Unsicherheiten im Vorfeld der Wahl immer mehr in den Mittelpunkt rücken werden", sagt Thomas Pohl von der Dresdner Bank Lateinamerika. "Das hat den Effekt, daß es weitere Strukturreformen in der verbleibenden Amtszeit von Fox kaum geben wird." Das ist zu verschmerzen.

Ruhe herrscht daher auch bei den Börsianern vor: Nach einem Tief im März und April notieren die Kurse in Mexiko City schon wieder auf Rekordniveau. Ähnliches gilt für São Paulo, der größten Latino-Börse, obwohl Brasilien-Präsident Lula in eine Korruptionsaffäre verwickelt ist (siehe Kasten rechts).

Gelassenheit in Mexiko City - also keine sozialistische Gefahr? "Obrador ist kein echter Linker", sagt Marco Rascon von der Tageszeitung La Jornada. "Die Bevölkerung jubelt nur, weil sie seine Hauptkonkurrenz, die PRI-Partei, nicht an der Macht sehen will." Dazu paßt, daß der 51jährige Populist im Ausland einen anderen Ton anschlägt als auf dem heimischen Zocalo-Platz. "Ich bin ein Mann der Mitte", erklärte Obrador in der New York Times. Der Präsidentschaftskandidat beherrscht offensichtlich das "Latino-Geigenspiel": mit der Linken nach der Macht greifen, aber mit der Rechten spielen.

Positiv formuliert: Obrador ist Pragmatiker. Unter seiner Ägide wurde in Mexiko City ein Sozialprogramm für Rentner und Arme sowie Bildungsprojekte gestartet. Gleichzeitig unterstützte Obrador aber auch die Unternehmenswelt, indem er etwa den Straßenbau förderte. Aufsehen erregte der Politiker, als er den ehemaligen Bürgermeister von New York Rudolph Guiliani als Berater für eine Null-Toleranz-Initiative zum Kampf gegen Kriminalität engagierte, und er sich von Mexikos reichstem Unternehmer Carlos Slim 50 Millionen Dollar zur Restaurierung des historischen Zentrums von Mexiko-City schenken ließ. Pragmatisch eben, nicht linksradikal. Der Wirtschaftsaufschwung in Mexiko ist so wohl kaum in Gefahr.

Anders bei den Kleinen: Im Schatten der lateinamerikanischen Wirtschafts-Supermächte Brasilien und Mexiko haben es bis auf den Ölgiganten Venezuela fast alle Staaten noch schwer, wirtschaftlich in Tritt zu kommen. Der Export als Konjunkturmotor ist gering in Ländern wie Peru, Uruguay oder Ecuador. Um so unruhiger geht es hier an der politischen Front zu. In den vergangenen drei Jahren dankten in Lateinamerika elf Staats-Chefs vorzeitig ab. Carlos Mesa in Bolivien etwa. Oder Ecuadors Lucio Gutierrez, der im April in die USA fliehen mußte.

Hugo Chavez, der Präsident von Venezuela, versucht, diese Länder auf seine Seite zu ziehen. "Die Achse des Südens" nennt er diese Koalition der Unzufriedenen. Gerade weilt er in Uruguay und lockt das Land mit billigem Öl und Krediten. "Es ist kein Geheimnis, die größte Gefahr für die Welt ist Herr Bush", grüßte er Richtung Washington. Dort werden die Attacken ignoriert. Bush bastelt mittlerweile ebenfalls an einer besseren Integration Mittel- und Südamerikas und boxte beispielsweise das Freihandelsabkommen Cafta durch den Senat. Mit Obrador wird sich Bush wohl auch zusammensetzen, sollte dieser in Mexiko siegen. Pragmatismus Marke Lateinamerika.  


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