Kernkraft als Brückentechnologie
Von Konrad Kleinknecht
Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird einige Jahrzehnte dauern. Zur Überbrückung bieten sich in Deutschland die bereits laufenden Kernkraftwerke an. Damit könnten der Bau zu vieler neuer Kohlekraftwerke und entsprechend höhere Emissionen von Kohlendioxid vermieden werden.
Der Wandel des Erdklimas ist Realität. Hauptverursacher ist das Treibhausgas Kohlendioxid. Jährlich entweichen weltweit 28 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre, die so zum Endlager für dieses Treibhausgas wird. Beim G-8-Gipfel im Sommer 2007 wurde festgelegt, den Ausstoß von Kohlendioxid bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 20 Prozent zu senken. Die Europäische Union hat dieses Ziel übernommen. Deutschland produziert in Europa am meisten CO2. Die Bundesregierung plant, den Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 30 oder gar 40 Prozent zu senken. Beide Ziele sind unrealistisch. In den zurückliegenden 15 Jahren wurden trotz erheblicher Investitionen in effizientere und erneuerbare Techniken nur acht Prozent CO2-Reduktion erreicht. Die Bundesregierung würde ihren eigenen Zielen zuwiderhandeln, wenn sie an der Laufzeitbegrenzung für die deutschen Kernkraftwerke festhielte.
Werden die 17 deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet, so fällt nach Berechnungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft im Jahr 2020 gut ein Viertel der Stromerzeugung aus. Die Lücke ließe sich nicht durch regenerative Energien oder Einsparung schließen. Im Zeitraum von 1990 bis 2007 wurden durch den Zubau von Wind-, Solar- und Biomassekraftwerken etwa elf Prozent der Stromerzeugung neu hinzugewonnen, 6,6 Prozent aus Windkraft (mit Subventionen von 3,5 Milliarden Euro für 2007), 3,7 Prozent aus Biomasse (1,8 Milliarden) und 0,5 Prozent aus Solarenergie (1,7 Milliarden). Die Subventionen durch das EEG bezahlen die Verbraucher über den erhöhten Strompreis.
In den zwölf Jahren bis 2020 wird es sicher nicht möglich sein, für die zweieinhalbfache Menge dieser Anlagen – und mindestens so viele wären für die Ziele der Bundesregierung nötig – geeignete Standorte zu finden, sie zu finanzieren und aufzubauen.
Im Binnenland gibt es nur noch wenige windreiche Standorte, dort wären zusätzlich etwa dreißigtausend Windräder der höchsten Leistungsklasse nötig, die dann allerdings nicht die Grundlast unserer Stromversorgung tragen könnten. Denkbar wäre es, zehntausend Anlagen der höchsten Leistungsklasse in Nord- und Ostsee zu errichten. Dort weht der Wind stetiger und stärker. Doch die Offshore-Technik ist noch nicht ausgereift; für ihre Entwicklung, die Genehmigung und den Aufbau mit Seekabeln und Hochspannungsleitungen an Land würden etwa zehn Jahre benötigt. Daher fordern auch Hersteller von Windkraftanlagen, die Kernkraftwerke noch mindestens zehn Jahre länger laufen zu lassen. Andernfalls werde der Neubau von Kohlekraftwerken die Dominanz der fossilen Kraftwerke auf lange Zeit festschreiben. „Die Verlangsamung des Ausstiegs hilft den erneuerbaren Energien“, meint Fritz Vahrenholt, ein bekannter Vertreter der Windkraftbranche.
Der Beitrag der Photovoltaik zur Stromerzeugung liegt heute bei 0,5 Prozent und könnte bis 2020 allenfalls verdreifacht werden – mit hohen Kosten für die Verbraucher, ebenso der kostengünstigere Beitrag der Biomasse.
Da die erneuerbaren Energien also die Stromlücke nicht füllen können, wirbt der Bundesumweltminister für den Neubau von Kohlekraftwerken und die „bessere Ausstattung der Wirtschaft mit Emissionszertifikaten“. Das bedeutet mehr kostenlose Verschmutzungsrechte, eine Steigerung des CO2- Ausstoßes und eine Schädigung der Umwelt. Deshalb wird versucht, das in Kohlekraftwerken erzeugte Kohlendioxid chemisch abzuscheiden und in unterirdische Endlager zu bringen. Auch dieses Verfahren ist aber noch weit von einer Anwendbarkeit entfernt.
Die Klimaziele der Bundesregierung für 2020 können nur mit einer Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke erreicht werden. Ein Teil der anfallenden Erträge soll zweckgebunden für erneuerbare Energien und Wärmedämmung verwendet werden. Das wird entweder über eine Selbstverpflichtung der Kraftwerksbetreiber oder über eine vertraglich vereinbarte Abgabe für den Weiterbetrieb der abgeschriebenen Anlagen erreicht. Die Kernenergie dient somit als Brückentechnologie zur Erreichung dieser Ziele. International könnte Deutschland politisch weiter als Vertreter des Klimaschutzes auftreten und wirtschaftlich mit dem Export von Windkraftanlagen, Solaranlagen und Kraftwerkstechnik zur Entwicklung in Asien beitragen.
Wenn Deutschland aber nicht bald den Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie revidiert, wird das Land seine Stellung als größter Klimaverschmutzer Europas ausbauen und zum Schlusslicht in der Klimapolitik werden. Es verliert seine klimapolitische Glaubwürdigkeit und untergräbt die internationalen Bemühungen, die anderen großen Emittenten von Kohlendioxid in den Kyoto-Vertrag einzubinden.
Der Autor Konrad Kleinknecht ist Professor für Physik an der Universität Mainz und Mitglied des Arbeitskreises Energie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.07.2008 Seite 8
Quelle: www.faz.net
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"...und wo ist Beeeheck? "