Das Mädchen auf dem Dreimeterbrett
Die mächtigste Frau der Republik: CDU-Chefin Angela Merkel wird 50
Berlin - Es war im Schwimmbad. Hinter ihr warteten die anderen Schüler und feixten. Angela stand auf dem Dreimeterbrett und traute sich nicht zu springen - 45 Minuten lang. Erst als der Lehrer die Übung mit einem Klingelzeichen abbrach, rannte sie los, in letzter Sekunde. "Ich bin im entscheidenden Moment mutig", sagt Angela Merkel. "Aber ich brauche beachtliche Anlaufzeit, weil ich versuche, möglichst viel vorher zu bedenken."
Ihr Ziehvater Helmut Kohl nannte sie unbedacht "das Mädchen". Das war vor zehn Jahren, vor ihrem beispiellosen Aufstieg. Jetzt nennt man sie die "Königin der Macht" oder "Maggie Merkel". Als CDU-Vorsitzende und Fraktionschefin wurde sie zur mächtigsten Frau der Republik. Die Physikerin aus der Uckermark, die am Samstag ihren 50. Geburtstag feiert, kennt nur ein Ziel: Sie will Kanzlerin werden.
"Angela hat einen sehr scharfen Verstand, eine ungeheure Energie und war schon immer sehr ehrgeizig", sagt Ulrich Merkel, ihr erster Mann. 1977 ist die Hochzeit, 1982 die Scheidung. Die Pastorentochter aus Templin promoviert in der DDR, obwohl sie bei der Stasi in Ungnade fällt. Merkel stehe dem System "sehr kritisch gegenüber", notieren Spitzel. Nach dem Mauerfall zieht es die Frau mit dem Topfhaarschnitt und den Jesuslatschen zum "Demokratischen Aufbruch". Sie wird im April 1990 Vize-Regierungssprecherin unter Lothar de Maiziè`re. Die Blitzkarriere beginnt: Vier Monate später Eintritt in die CDU, Ende des Jahres Einzug in den Bundestag. Sechs Wochen danach holt Kohl sie als Frauenministerin ins Kabinett, lässt sie zur stellvertretenden Parteichefin wählen. Ostdeutsch, weiblich, evangelisch. Dass man sie nur der Quote wegen auf bestimmte Posten hob, hat Angela Dorothea Merkel nie gestört. Noch als Generalsekretärin bedient sie gerne das Klischee der mädchenhaften, blassen Anfängerin. "Die kann es nicht", lästern Parteifreunde, besonders in der CSU.
Doch ihr oft unbeholfen wirkendes Auftreten entpuppt sich als strategischer Vorteil. Merkel wird sträflich unterschätzt. "Sie ist hoch intelligent, wirkt aber naiv und offen. Man traut sich einfach nicht, sie hart anzupacken", sagt SPD-Minister Otto Ebnet, ein früherer Kontrahent. "Ich habe immer wieder beobachtet, dass es sie nicht stört, wenn sie unterschätzt und für harmlos gehalten wird", bestätigt auch CSU-Kollege Michael Glos. Im Dezember 1999 steht Merkel wieder einmal auf dem Dreimeterbrett, zögert und springt. Auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre räumt Kohl die Existenz schwarzer Kassen ein, verschweigt aber die Namen der Spender. In einem spektakulären Essay vollzieht die CDU-Generalin den Bruch mit dem Ehrenvorsitzenden, erklärt die Ära Kohl für beendet. "Ich hatte diesen Text sehr wohl vom Ende her gedacht", sagt sie.
Vom Ende her denken. Angela Merkel beherrscht diese Kunst wie ein Schachcomputer. Vor jedem Zug berechnet sie alle Eventualitäten. Auf diese Weise hat sie erst Kohl gekippt und dann seinen Nachfolger Wolfgang Schäuble, hat Roland Koch ruhig und Edmund Stoiber ins Abseits gestellt. Was hatte man ihr nicht prophezeit? "Wenn ein Elefant wie Kohl umfällt, erschlägt er Tausende von Ameisen. Frau Merkel ist eine davon." Jetzt ist sie selbst die Elefantin. Wer ihr ins Gehege kommt, wird entweder kaltgestellt oder umgarnt. Ohne Skrupel serviert Merkel den Chef der Unionsfraktion, Friedrich Merz, ab - ungeachtet anderslautender Zusagen. Gleichzeitig befördert sie den Ex-Stoiber-Fan Volker Kauder zum Fraktionsmanager und stellt damit die aufmüpfige CDU in Baden-Württemberg ruhig. Merkel ist sich bewusst, dass sie auf einer fragilen Machtbasis steht, höchstens Zweckbündnisse auf Zeit geschlossen hat. Ihr einziges Fundament ist die Fraktion. Zwar stehen einflussreiche Ministerpräsidenten hinter ihr, manche jedoch mit dem Dolch im Gewand. Peter Müller, Roland Koch, vielleicht auch Christian Wulff - sie warten auf ihre Chance. Größter Widersacher bleibt Edmund Stoiber, der die Bundestagswahl knapp verlor und Merkel 2006 den Vortritt lassen muss. Im Unterschied zu seinem Parteichef hat CSU-Vize Horst Seehofer dies längst eingesehen. Merkel verfüge eben über eine "erstklassige Machttechnik", sie sei "besser als Kohl".
Einflussreiche Ministerpräsidenten stehen hinter ihr, einige mit dem Dolch im Gewande
Von dem Alten hat das Mädchen viel gelernt. Wie Kohl koordiniert sie ihr Reich per Telefon. Sonntags werden die Mehrheiten organisiert für die CDU-Gremien, die montags tagen. Merkel würde sich eher die Haare blond färben als ihr Handy aus der Hand zu geben - es ist ihr Machtinstrument. Die meisten Anrufe kommen aus dem "Girls-Camp", von Büroleiterin Beate Baumann und Pressechefin Eva Christiansen. Vor ihnen hat sie die wenigsten Geheimnisse.
Emotionen - ein Fremdwort für die Machtpolitikerin. Ihre Gefühle hat Angela Merkel so fest verschlossen wie die Tür zu ihrem Privatleben. Ihr zweiter Mann, der Chemieprofessor Joachim Sauer, begleitet sie nur selten zu Terminen. Familie und Freunde sind für die Öffentlichkeit tabu. Merkel habe zu niemandem Vertrauen, weil man ihr selbst nicht trauen könne, sagt ein Kritiker.
Sie erklärt es anders: Früher, in der DDR, seien die Menschen eben von Natur aus schweigsamer gewesen - "schon aus Überlebensgründen". Es gibt aber auch Momente im Leben der Angela M., da streift sie die steife, spröde Hülle ab. Wenn keine Kamera und kein Mikro vor ihr steht, dafür vielleicht ein Glas Wein, betätigt sich die Pfarrerstochter gerne als Alleinunterhalterin.
Mit Hingabe und Bravour kann sie Stoiber und Kohl nachäffen, sich nicht nur über Koch und den Kanzler mokieren, sondern auch über sich selbst. Dann erzählt sie manchmal sogar die Geschichte vom Dreimeterbrett.
Die mächtigste Frau der Republik: CDU-Chefin Angela Merkel wird 50
Berlin - Es war im Schwimmbad. Hinter ihr warteten die anderen Schüler und feixten. Angela stand auf dem Dreimeterbrett und traute sich nicht zu springen - 45 Minuten lang. Erst als der Lehrer die Übung mit einem Klingelzeichen abbrach, rannte sie los, in letzter Sekunde. "Ich bin im entscheidenden Moment mutig", sagt Angela Merkel. "Aber ich brauche beachtliche Anlaufzeit, weil ich versuche, möglichst viel vorher zu bedenken."
Ihr Ziehvater Helmut Kohl nannte sie unbedacht "das Mädchen". Das war vor zehn Jahren, vor ihrem beispiellosen Aufstieg. Jetzt nennt man sie die "Königin der Macht" oder "Maggie Merkel". Als CDU-Vorsitzende und Fraktionschefin wurde sie zur mächtigsten Frau der Republik. Die Physikerin aus der Uckermark, die am Samstag ihren 50. Geburtstag feiert, kennt nur ein Ziel: Sie will Kanzlerin werden.
"Angela hat einen sehr scharfen Verstand, eine ungeheure Energie und war schon immer sehr ehrgeizig", sagt Ulrich Merkel, ihr erster Mann. 1977 ist die Hochzeit, 1982 die Scheidung. Die Pastorentochter aus Templin promoviert in der DDR, obwohl sie bei der Stasi in Ungnade fällt. Merkel stehe dem System "sehr kritisch gegenüber", notieren Spitzel. Nach dem Mauerfall zieht es die Frau mit dem Topfhaarschnitt und den Jesuslatschen zum "Demokratischen Aufbruch". Sie wird im April 1990 Vize-Regierungssprecherin unter Lothar de Maiziè`re. Die Blitzkarriere beginnt: Vier Monate später Eintritt in die CDU, Ende des Jahres Einzug in den Bundestag. Sechs Wochen danach holt Kohl sie als Frauenministerin ins Kabinett, lässt sie zur stellvertretenden Parteichefin wählen. Ostdeutsch, weiblich, evangelisch. Dass man sie nur der Quote wegen auf bestimmte Posten hob, hat Angela Dorothea Merkel nie gestört. Noch als Generalsekretärin bedient sie gerne das Klischee der mädchenhaften, blassen Anfängerin. "Die kann es nicht", lästern Parteifreunde, besonders in der CSU.
Doch ihr oft unbeholfen wirkendes Auftreten entpuppt sich als strategischer Vorteil. Merkel wird sträflich unterschätzt. "Sie ist hoch intelligent, wirkt aber naiv und offen. Man traut sich einfach nicht, sie hart anzupacken", sagt SPD-Minister Otto Ebnet, ein früherer Kontrahent. "Ich habe immer wieder beobachtet, dass es sie nicht stört, wenn sie unterschätzt und für harmlos gehalten wird", bestätigt auch CSU-Kollege Michael Glos. Im Dezember 1999 steht Merkel wieder einmal auf dem Dreimeterbrett, zögert und springt. Auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre räumt Kohl die Existenz schwarzer Kassen ein, verschweigt aber die Namen der Spender. In einem spektakulären Essay vollzieht die CDU-Generalin den Bruch mit dem Ehrenvorsitzenden, erklärt die Ära Kohl für beendet. "Ich hatte diesen Text sehr wohl vom Ende her gedacht", sagt sie.
Vom Ende her denken. Angela Merkel beherrscht diese Kunst wie ein Schachcomputer. Vor jedem Zug berechnet sie alle Eventualitäten. Auf diese Weise hat sie erst Kohl gekippt und dann seinen Nachfolger Wolfgang Schäuble, hat Roland Koch ruhig und Edmund Stoiber ins Abseits gestellt. Was hatte man ihr nicht prophezeit? "Wenn ein Elefant wie Kohl umfällt, erschlägt er Tausende von Ameisen. Frau Merkel ist eine davon." Jetzt ist sie selbst die Elefantin. Wer ihr ins Gehege kommt, wird entweder kaltgestellt oder umgarnt. Ohne Skrupel serviert Merkel den Chef der Unionsfraktion, Friedrich Merz, ab - ungeachtet anderslautender Zusagen. Gleichzeitig befördert sie den Ex-Stoiber-Fan Volker Kauder zum Fraktionsmanager und stellt damit die aufmüpfige CDU in Baden-Württemberg ruhig. Merkel ist sich bewusst, dass sie auf einer fragilen Machtbasis steht, höchstens Zweckbündnisse auf Zeit geschlossen hat. Ihr einziges Fundament ist die Fraktion. Zwar stehen einflussreiche Ministerpräsidenten hinter ihr, manche jedoch mit dem Dolch im Gewand. Peter Müller, Roland Koch, vielleicht auch Christian Wulff - sie warten auf ihre Chance. Größter Widersacher bleibt Edmund Stoiber, der die Bundestagswahl knapp verlor und Merkel 2006 den Vortritt lassen muss. Im Unterschied zu seinem Parteichef hat CSU-Vize Horst Seehofer dies längst eingesehen. Merkel verfüge eben über eine "erstklassige Machttechnik", sie sei "besser als Kohl".
Einflussreiche Ministerpräsidenten stehen hinter ihr, einige mit dem Dolch im Gewande
Von dem Alten hat das Mädchen viel gelernt. Wie Kohl koordiniert sie ihr Reich per Telefon. Sonntags werden die Mehrheiten organisiert für die CDU-Gremien, die montags tagen. Merkel würde sich eher die Haare blond färben als ihr Handy aus der Hand zu geben - es ist ihr Machtinstrument. Die meisten Anrufe kommen aus dem "Girls-Camp", von Büroleiterin Beate Baumann und Pressechefin Eva Christiansen. Vor ihnen hat sie die wenigsten Geheimnisse.
Emotionen - ein Fremdwort für die Machtpolitikerin. Ihre Gefühle hat Angela Merkel so fest verschlossen wie die Tür zu ihrem Privatleben. Ihr zweiter Mann, der Chemieprofessor Joachim Sauer, begleitet sie nur selten zu Terminen. Familie und Freunde sind für die Öffentlichkeit tabu. Merkel habe zu niemandem Vertrauen, weil man ihr selbst nicht trauen könne, sagt ein Kritiker.
Sie erklärt es anders: Früher, in der DDR, seien die Menschen eben von Natur aus schweigsamer gewesen - "schon aus Überlebensgründen". Es gibt aber auch Momente im Leben der Angela M., da streift sie die steife, spröde Hülle ab. Wenn keine Kamera und kein Mikro vor ihr steht, dafür vielleicht ein Glas Wein, betätigt sich die Pfarrerstochter gerne als Alleinunterhalterin.
Mit Hingabe und Bravour kann sie Stoiber und Kohl nachäffen, sich nicht nur über Koch und den Kanzler mokieren, sondern auch über sich selbst. Dann erzählt sie manchmal sogar die Geschichte vom Dreimeterbrett.