Gestern in der Süddeutschen Zeitung:
Der Geist von Reykjavik
Viele Isländer lassen sich in ihrem Glauben an Trolle und Unsichtbare nicht beirren, seit zehn Jahren lernen sie in einer Elfenschule
Von Gerhard Fischer
Reykjavik – Trolle, Elfen, Gnome und unsichtbare Menschen bestimmen auf Island, wie eine Straße zu verlaufen hat. „Manchmal baut das Straßenbauamt eine Kurve, wo eigentlich eine gerade Strecke vorgesehen war“, sagt Magnus Skarphedinsson, „man will die Geschöpfe, die an dieser Stelle wohnen, nicht stören.“ Umfragen ergaben, dass mehr als 50 Prozent der Isländer an die Existenz der unsichtbaren Wesen glauben. Fast 40 Prozent halten sie für möglich, darunter die Angestellten vom Straßenbauamt. Bevor sie eine Straße planen, befragen sie so genannte Elfen-Berater – Menschen, die angeblich in der Lage sind, die Unsichtbaren zu sehen.
Magnus Skarphedinsson hat in Reykjavik eine Elfen-Schule, die in diesen Tagen zehn Jahre alt wird. Jeder kann den Unterricht besuchen. Man erfährt dort alles über die unsichtbaren Wesen. Und man kann hingehen, um über Begegnungen mit ihnen zu berichten. Magnus Skarphedinsson ist ein großer, kräftiger Mann. Er war früher Hochschullehrer, heute hat er eine Firma, die Häuser renoviert. Die Elfen-Schule macht er nebenher. Er hat Humor, und manchmal zwinkert er mit einem Auge, wenn er etwas sagt, was unglaublich klingt, so wie Rudi Völler es tut. Skarphedinsson hat vor 23 Jahren begonnen, Geschichten über die unsichtbaren Wesen zu sammeln, mittlerweile sind es 400. „Anfangs dachte ich, naja, das ist halt ein Teil der Kultur auf Island“, erzählt er. „Aber jetzt glaube ich daran, denn die Menschen, die mir von Begegnungen berichteten, haben mich überzeugt.“ Vier Prozent der Isländer haben angeblich einmal ein unsichtbares Wesen gesehen.
Skarphedinsson erzählt die Geschichte von einem zwölfjährigen Jungen, der sich verlaufen hatte. Plötzlich sah er Licht und ein Haus. Er kannte die Leute nicht, die dort wohnten, obwohl er in dieser Gegend zuhause war. Sie gaben ihm Essen, und er durfte bei ihnen schlafen. Am nächsten Tag verließ er sie, blickte sich nach 200 Metern um – und das Haus war verschwunden. Er ging zurück, aber die Fußabtritte, die er am Tag zuvor hinterlassen hatte, endeten an der Stelle, wo das Haus gestanden hatte.
Oder diese Geschichte: Sie handelt von Tryggvi Emilsson, einem bekannten Kommunisten auf Island. Emilsson glaubte nicht an Gott und schon gar nicht an unsichtbare Wesen. Aber irgendwann hing er an einem Felsen und drohte abzustürzen. Da kam eine junge Frau und half ihm nach oben. Dann war sie plötzlich nicht mehr da. Später hat Emilsson ein Buch geschrieben. Ein nüchternes. Es ging um Politik. Aber auf Seite 219 erzählt er die Geschichte von der geheimnisvollen Frau, die ihn einst rettete.
Magnus Skarphedinsson sagt, dass auf Island 5000 bis 20000 unsichtbare Wesen leben, dass es 13 verschiedene Arten von Elfen gibt und drei Typen von unsichtbaren Menschen, die man „die Verborgenen“ nennt. Sie leben im Einklang mit der Natur, wohnen in Häusern aus Stein, sind sterblich, können in die Zukunft sehen und sind nett und freundlich. Sie helfen Menschen, die in Gefahr sind, und manchmal verlieben sich unsichtbare in sichtbare Menschen und umgekehrt. Aber Kinder können sie nicht zusammen kriegen. Trolle und Gnome, sagt Skarphedinsson, können manchmal böse sein, aber nur ein bisschen.
Island ist ein modernes, wohlhabendes Land. Trotzdem glauben viele Menschen an unsichtbare Wesen, und man erklärt keinen für verrückt, der es tut. Vielleicht liegt es daran, dass die Natur auf der Insel so sonderbar ist. Island liegt auf dem so genannten Mittelatlantischen Rücken, wo sich die tektonischen Platten Amerikas und Europas treffen und aneinander reiben. Hier dringt aus dem Erdmantel glutflüssige Gesteinsschmelze, das Magma, nach oben. Deshalb gibt es auf Island viele Vulkane, dampfend heiße Quellen und Geysire. Man kann spazieren gehen, und plötzlich schießt neben der Straße aus einem Geysir eine Heißwasserfontäne in die Höhe. In so einem Land fallen Mythen auf fruchtbaren Boden. Zumal die Aufklärung, die der Welt im 18. Jahrhundert den Zauber genommen hat, erst spät nach Island gekommen ist. Noch heute wagt es keiner, den Volksglauben anzutasten. Nicht die Kirche, nicht die Politiker. Kürzlich war Wahlkampf auf Island. Es gab keinen Politiker, der öffentlich sagte, der Elfen-Glaube sei Hokuspokus.
1986 war die große Politik zu Gast auf Island. Reagan und Gorbatschow berieten weit reichende Abrüstungsschritte, und man sprach später vom „Geist von Reykjavik“. Was sie nicht wussten: In dem Haus, in dem sie sich trafen, hat es früher gespukt. Sagen die Isländer.
Der Geist von Reykjavik
Viele Isländer lassen sich in ihrem Glauben an Trolle und Unsichtbare nicht beirren, seit zehn Jahren lernen sie in einer Elfenschule
Von Gerhard Fischer
Reykjavik – Trolle, Elfen, Gnome und unsichtbare Menschen bestimmen auf Island, wie eine Straße zu verlaufen hat. „Manchmal baut das Straßenbauamt eine Kurve, wo eigentlich eine gerade Strecke vorgesehen war“, sagt Magnus Skarphedinsson, „man will die Geschöpfe, die an dieser Stelle wohnen, nicht stören.“ Umfragen ergaben, dass mehr als 50 Prozent der Isländer an die Existenz der unsichtbaren Wesen glauben. Fast 40 Prozent halten sie für möglich, darunter die Angestellten vom Straßenbauamt. Bevor sie eine Straße planen, befragen sie so genannte Elfen-Berater – Menschen, die angeblich in der Lage sind, die Unsichtbaren zu sehen.
Magnus Skarphedinsson hat in Reykjavik eine Elfen-Schule, die in diesen Tagen zehn Jahre alt wird. Jeder kann den Unterricht besuchen. Man erfährt dort alles über die unsichtbaren Wesen. Und man kann hingehen, um über Begegnungen mit ihnen zu berichten. Magnus Skarphedinsson ist ein großer, kräftiger Mann. Er war früher Hochschullehrer, heute hat er eine Firma, die Häuser renoviert. Die Elfen-Schule macht er nebenher. Er hat Humor, und manchmal zwinkert er mit einem Auge, wenn er etwas sagt, was unglaublich klingt, so wie Rudi Völler es tut. Skarphedinsson hat vor 23 Jahren begonnen, Geschichten über die unsichtbaren Wesen zu sammeln, mittlerweile sind es 400. „Anfangs dachte ich, naja, das ist halt ein Teil der Kultur auf Island“, erzählt er. „Aber jetzt glaube ich daran, denn die Menschen, die mir von Begegnungen berichteten, haben mich überzeugt.“ Vier Prozent der Isländer haben angeblich einmal ein unsichtbares Wesen gesehen.
Skarphedinsson erzählt die Geschichte von einem zwölfjährigen Jungen, der sich verlaufen hatte. Plötzlich sah er Licht und ein Haus. Er kannte die Leute nicht, die dort wohnten, obwohl er in dieser Gegend zuhause war. Sie gaben ihm Essen, und er durfte bei ihnen schlafen. Am nächsten Tag verließ er sie, blickte sich nach 200 Metern um – und das Haus war verschwunden. Er ging zurück, aber die Fußabtritte, die er am Tag zuvor hinterlassen hatte, endeten an der Stelle, wo das Haus gestanden hatte.
Oder diese Geschichte: Sie handelt von Tryggvi Emilsson, einem bekannten Kommunisten auf Island. Emilsson glaubte nicht an Gott und schon gar nicht an unsichtbare Wesen. Aber irgendwann hing er an einem Felsen und drohte abzustürzen. Da kam eine junge Frau und half ihm nach oben. Dann war sie plötzlich nicht mehr da. Später hat Emilsson ein Buch geschrieben. Ein nüchternes. Es ging um Politik. Aber auf Seite 219 erzählt er die Geschichte von der geheimnisvollen Frau, die ihn einst rettete.
Magnus Skarphedinsson sagt, dass auf Island 5000 bis 20000 unsichtbare Wesen leben, dass es 13 verschiedene Arten von Elfen gibt und drei Typen von unsichtbaren Menschen, die man „die Verborgenen“ nennt. Sie leben im Einklang mit der Natur, wohnen in Häusern aus Stein, sind sterblich, können in die Zukunft sehen und sind nett und freundlich. Sie helfen Menschen, die in Gefahr sind, und manchmal verlieben sich unsichtbare in sichtbare Menschen und umgekehrt. Aber Kinder können sie nicht zusammen kriegen. Trolle und Gnome, sagt Skarphedinsson, können manchmal böse sein, aber nur ein bisschen.
Island ist ein modernes, wohlhabendes Land. Trotzdem glauben viele Menschen an unsichtbare Wesen, und man erklärt keinen für verrückt, der es tut. Vielleicht liegt es daran, dass die Natur auf der Insel so sonderbar ist. Island liegt auf dem so genannten Mittelatlantischen Rücken, wo sich die tektonischen Platten Amerikas und Europas treffen und aneinander reiben. Hier dringt aus dem Erdmantel glutflüssige Gesteinsschmelze, das Magma, nach oben. Deshalb gibt es auf Island viele Vulkane, dampfend heiße Quellen und Geysire. Man kann spazieren gehen, und plötzlich schießt neben der Straße aus einem Geysir eine Heißwasserfontäne in die Höhe. In so einem Land fallen Mythen auf fruchtbaren Boden. Zumal die Aufklärung, die der Welt im 18. Jahrhundert den Zauber genommen hat, erst spät nach Island gekommen ist. Noch heute wagt es keiner, den Volksglauben anzutasten. Nicht die Kirche, nicht die Politiker. Kürzlich war Wahlkampf auf Island. Es gab keinen Politiker, der öffentlich sagte, der Elfen-Glaube sei Hokuspokus.
1986 war die große Politik zu Gast auf Island. Reagan und Gorbatschow berieten weit reichende Abrüstungsschritte, und man sprach später vom „Geist von Reykjavik“. Was sie nicht wussten: In dem Haus, in dem sie sich trafen, hat es früher gespukt. Sagen die Isländer.