Der Neue Markt ist noch zu retten

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Der Neue Markt ist noch zu retten

 
12.11.01 23:09
Der Neue Markt ist noch zu retten

Von Lucas Zeise, Frankfurt

Sein Mythos ist tot. Sein Ruf ist aber durch einen Kodex für Emissionsbanken reparierbar.

Kann man den Neuen Markt noch retten? Diese Frage stellen sich zunehmend die Unternehmen, deren Aktien dort gelistet sind, und die Banken und Broker, die den Markt betreiben. Anleger sind bekanntlich opportunistischer. Sie haben sich bereits in Scharen vom Segment abgewendet. Die Umsätze am Neuen Markt sind dementsprechend nicht nur parallel mit den Kursen auf ein Zehntel früherer, glorioser Zeiten geschrumpft, sondern auf ein Hundertstel. Zurück bleibt eine Liebhaber- oder Spezialistenschar, die darauf setzt, dass Potenzial in einigen Werten steckt. Aber sie sind die Unentwegten, die vermutlich auch in anderen Segmenten der Börse zu spekulieren bereit sind.

Der Mythos Neuer Markt jedenfalls ist tot. Er beinhaltete die Idee vom Schlaraffenland, in dem Aktien emittierende Unternehmen grenzenlos und billig Eigenkapital vom Anleger erhalten. Und der wurde für diese Naivität auch noch mit Kursgewinnen belohnt. Dass dieser Mythos verschwunden ist, haben fast alle begriffen. Dennoch kann der Markt entmythologisiert vielleicht weiterbestehen - auch in weniger rosigen Zeiten. Dazu müssen aber einige Mängel beseitigt werden: Erstens gab es nie eine glasklare Regel, wann und warum Unternehmen Wachstumsunternehmen sind und sich damit für den Neuen Markt qualifizieren. Zweitens gab es für Emissionsbanken weder Anreize noch Sanktionen, Qualität oder Schrott an den Markt zu bringen. Drittens krankt der Neue Markt daran, dass er kein offizielles Börsensegment darstellt, sondern auf Vereinbarungen der Deutschen Börse AG mit den Emittenten beruht.



Juristisch verfahren


Die Börsenorganisation versucht seit einem halben Jahr, das Image des Neuen Marktes als Qualitätssegment über die schlechten Zeiten hinwegzuretten. Sie hat deshalb im Juli Delisting-Regeln beschlossen. Damit sollten schwarze Schafe und Flops unter den immer noch über 300 Unternehmen ausgeschlossen werden. Einige haben sich so unter Zwang verabschiedet. Andere fechten den Zwangsausschluss vor Gericht an. Dabei erweist sich, dass die Vereinbarungen der Börse mit den Unternehmen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses durchaus variierten.


Die meisten Unternehmen haben sich zur Anerkennung des Regelwerkes generell verpflichtet. Andere aber haben nur das Regelwerk zum Zeitpunkt der Emission anerkannt. Sie berufen sich nun darauf, dass geänderte Konditionen des Rauswurfs auf sie nicht anwendbar sind, und werden vermutlich auch vor Gericht Recht behalten.


Die Rechtsabteilung der Deutschen Börse sollte ihrem Vorstand klarmachen, wie verfahren die eigene Rechtsposition nun ist. Der Neue Markt wird sich durch eine Anpassung oder Verschärfung des Regelwerks, die nur einigen Emittenten weh tut, nicht reformieren lassen.



Hoffnung am Horizont


Hoffnung für die Börse winkt in Gestalt des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes. Das enthält eine Novelle des Börsengesetzes, wonach der öffentlich-rechtlichen Börse ausdrücklich gestattet werden soll, Qualitätssegmente - wie den Neuen Markt - selbst zu regeln. Damit könnte die merkwürdige Rechtskonstruktion des Neuen Marktes auf öffentlich-rechtliche Füße gestellt werden. Heute ist der Neue Markt eine Veranstaltung des Börsenträgers, der Deutschen Börse AG. Dazu muss man wissen, die Deutsche Börse ist keine Börse. Sie heißt nur Börse, weil sie im Auftrag der hessischen Landesregierung die Frankfurter Wertpapierbörse betreibt. Da diese bisher neben dem Amtlichen Handel und dem Geregelten Markt keine Sondersegmente schaffen konnte, ist die Betreiberin Deutsche Börse nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich eingesprungen. Die Unternehmen des Neuen Marktes wurden so offiziell zum Geregelten Markt zugelassen. Sie werden aber im privatrechtlichen, inoffiziellen Freiverkehr gehandelt. Die Qualität "Neuer Markt" erhält dieser Freiverkehr durch das von der Deutschen Börse gesetzte Regelwerk und seine Anerkennung seitens der Emittenten. Künftig kann der Börsenrat, als oberstes Gremium der Frankfurter Wertpapierbörse die Regeln für das Marktsegment beschließen und jeweils anpassen.



Verantwortung liegt bei den Banken


Allerdings wäre das eine andere Veranstaltung als die derzeitige. Sozusagen neue Schläuche für den alten Wein. Der müsste erst in den neuen Neuen Markt umgefüllt werden. Seine Regeln müssten erst neu entworfen werden. Nach Beschluss durch den Börsenrat müssten dann die Unternehmen des alten Neuen Marktes die Zulassung für dieses Segment beantragen und nach Genehmigung dorthin wechseln. Der Übergang vom alten in den neuen Neuen Markt könnte so zum erwünschten Selektionsprozess werden.


Mit einer solchen Umwidmung könnte der Neue Markt seine löchrige juristische Gestalt verlieren und sozusagen wasserdicht werden. Damit er seine Funktion als wichtige Eigenkapitalquelle wieder erhält, muss aber auch der Emissionsprozess renoviert werden. Bisher wurde ganz überwiegend über die Pflichten und die Fehler der Unternehmen geredet. Wichtiger ist das Verhalten der Emissionsbanken.


Die Banken räumen heute ein, dass sie Fehler begangen haben. Sie haben sich ins Emissionsgeschäft gedrängt, mit unerfahrenem Personal IPO-Teams aufgebaut und wie am Fließband neue Werte an den Markt gebracht. Dass daraus so viele Flops geworden sind, ist der fehlenden Prüfung der Börsenreife zuzuschreiben.


Die Prüfung der Börsenreife war sicher deshalb auch ein schweres Geschäft, weil die Zulassungskriterien zu schwammig waren. Umso wichtiger ist es, dass sich die Emissionsbanken auf einen Kodex verständigen. Der muss ein paar einfache Regeln enthalten darüber, was die Bank zu prüfen hat.


Vor allem aber muss er einen effektiven Sanktionsmechanismus enthalten. Der könnte so lauten: Wer mehr als einen Flop im Neuen Markt untergebracht hat, wird für einen bestimmten Zeitraum kein Unternehmen mehr an das Börsensegment bringen dürfen.


Mit einer solchen Regel wäre die Verantwortung da, wo sie hingehört. Die Veranstalter der Börse sind die Investmentbanken. Sie müssen prüfen, ob Unternehmen markttauglich sind oder nicht. Schwarze Schafe sollen ihnen zur Last fallen. Der Ruf des Neuen Marktes hängt von ihnen ab. Wenn der Ruf wieder gut ist, profitieren sie auch am meisten davon.

ftd.
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