wenn man über Bücher referieren möchte, die man gar nicht gelesen hat XD
Angesichts der Flut von Ratgeberbüchern, die ähnliche Titel haben und mit Fug und Recht tatsächlich unter amerikanischer Vulgärpsychologie eingetütet werden können, kann ich dieses Ressentiment in diesem Falle aber fast ein bisschen verstehen.
Es geht hier allerdings nicht um positives Denken, NLP oder solche Dinge, dessen Unwissenschaftlichkeit und in Studien bisher auch keinesfalls nachweisbare Wirksamkeit sicherlich zu recht kritisiert wird. Bücher die zudem auch noch häufig von selbsternannten Coaches verfasst werden, die keinerlei nachweisbare Qualifikation vorweisen können.
Es handelt sich bei "Twelve Rules for Life" sicher nicht um ein medizinisches Fachbuch (das wird aber auch nicht das Ziel gewesen sein). Seine Tradition geht dabei allerdings nicht etwa auf Tony Robbins und Konsorten zurück.
Wenn man etwas zurückdenkt, so sind heute Lebensfragen, denen sich früher die Philosophie gewidmet hat oder die auch in Religionen implizit enthalten sind, von der Psychologie übernommen worden, wobei der Fokus weniger auf Fragen des guten oder des richtigen Lebens an sich, sondern vor allem auf die Behandlung von seelischen Leiden gelegt wird.
Das erste wird hingegen von mittlerweile wie Pilze aus dem Boden schießenden Ratgebern bearbeitet ...in äußerst durchwachsener Qualität und Seriosität. Es gibt Gutes und Erhellendes aber auch viel Schund.
Welcher Philosoph würde heute noch etwas Schreiben, wie Marcus Aurelius "Selbstbetrachtungen", Senecas "De Vita Beata", oder die Aufsätze von Epikur?
Nach Nietzsche hat sich (soweit ich das recht Überblicke) kaum noch ein namhafter Philosoph mit solchen Fragestellungen beschäftigt. Mitauschlaggebend dürfte sicher später auch die Frankfurter Schule gewesen sein. Der radikale Ausspruch " Es gibt kein richtiges Leben im Falschen" erübrigt nämlich jedwede Frage nach einem richtigen Leben. Dabei handelt es sich m.E. bei diesem Ausspruch um eine Unwahrheit, die aber sophistisch offenbar gar nicht so schlecht vorgetragen wurde. Der pluralistische Relativismus der Postmoderne steht dem des Weiteren entgegen, den ich in seiner Konsequenz aber ebenso für verfehlt halte.
Am ehesten finden bei uns noch Intellektuelle wie Peter Sloterdijk oder Norbert Bolz, den Mut, sich solchen Fragestellungen zu widmen. Großartig finde ich z.B. sein Buch "Das richtige Leben"
www.amazon.de/...htige-Leben-Norbert-Bolz-ebook/dp/B01ALL1J9S
Er untersucht dort die vier klassischen antiken Idealformen, die heroische, die philosophische, die politische und die bürgerliche, und fragt danach, welchen Wert, welche Rolle und welche Bedeutung ihnen in der zeitgenössischen Moderne zukommt und zukommen kann.
Jordan Peterson hat sich hingegen den Religionen gewidmet und sich in der Tradition von Carl Gustav Jung die Frage gestellt, welche archetypischen mythologischen Figuren als moralische Metaerzählungen in ihnen enthalten sind, welchen Wert und welche Bedeutung sie haben, wo sie uns sonst noch überall begegnen und was wir u.U. auch heute noch aus Ihnen lernen können.
Darum dreht sich sein Hauptwerk "Maps of Meaning" an dem er über 13 Jahre gearbeitet hat. Das Buch ist allerdings auch ein richtiger Ziegelstein und recht anspruchsvoll geschrieben.
Die Geschichte von "Twelve Rules of life" soll hingegen auf einen thread bei Quora zurückgegangen sein, bei dem nach den wichtigsten Lebensregeln gefragt wurde. Auch Peterson hatte dort dann einen Kommentar verfasst, und dabei versucht so etwas wie eine kurze Essenz aus seinem Werk Maps of meaning abzuleiten, er kam auf über 40 Regeln und hat dann nochmal gefiltert, bis 12 übrig blieben, die ihm am wesentlichsten erschienen. der Thread wurde darauf hin zum Renner bei Quora, woraus dann die Idee entstanden sein soll, ein Buch draus zu machen.
Ein vereinfachtes und praxisorientiertes Resultat seiner Arbeiten zu "Maps of Meaning" wenn man so will. Man mag von der Lebensphilosophie, die dort vertreten wird, etwas halten, oder auch nicht, amerikanische Vulgärpsychologie ist jedoch kaum die richtige Schublade dafür.
Auf dem Gebiet der Psychologie ist er bekanntlich nicht nur diplomiert und promoviert sondern hält sogar eine Professur inne. Sein Hauptzweig ist dabei die Entwicklungspsychologie, seine besonders betonten Einflüsse neben Jung auch Piaget auch Rogers und in der therapeutischen Praxis scheint er der kognitiven Verhaltenstherapie nahezustehen.
Unter amerikanischer Vulgärpsychologie würde ich doch etwas anderes verstehen.
Seine Qualifikationen und Erfahrungen auf diesem Gebiet der Psychologie scheinen natürlich in seine Büchern überall durch und sind auch dadurch beeinflusst, auch wenn es sich dabei nicht um psychologische Fachliteratur im engeren Sinne handelt, sondern neben psychologischen Theorieaspekten und empirischen Erkenntnissen diverser Studien, auch theologische und kulturphilosophische Aspekte beinhaltet.
Sein Buch unterscheidet sich meine ich zudem auch in anderen Bereichen von jener Ratgeberliteratur, die Du da im Blick hast. Deswegen ist sein Buch im Gegensatz zu jenen Werken vielleicht auch so erfolgreich.
Die Regeln sind kurz, die kapitellangen Ausführungen dazu jedoch erstaunlich gehaltvoll, Ähnlich wie der Buchtitel, so sind auch die einzelnen Regeln, eher Überschriften, hinter denen weitaus mehr, steht als man es auf den ersten Blick erwarten mag, so wie man es ja auch aus seinen Online-Vorlesungen und YT-Auftritten kennt XD.
Mein Eindruck bei deinen Reaktionen ist allerdings eher, dass es Dir gar nicht so sehr darum geht, ihn oder seine Bücher richtig einzuordnen, sondern vielmehr darum, ihn unbedingt abzuwerten.
Da kann man lange reden, Dir widersprechen, zum Nachdenken anregen, und Sachen von ihm vorstellen. Wenn dem so ist, dann ist dem nun mal so.
Solltest Du tatsächlich doch mal das Interesse haben, ihn zu lesen, dann würde ich Dir gleich zu Maps of Meaning raten, da kannst Du glaube ich mehr mit anfangen. Interessant ist es allemal, schon alleine der Denkansätze- und Methodik wegen, er widmet sich der Religionsgeschichte da doch in einer sehr originellen und in seinen Betrachtungen wirklich interessanten Art und Weise.
Es ist meine ich auch dann interessant, wenn man seine Interpretationen nicht teilt.
So geht es mir übrigens immer mit dem Zizek. Ich halte selten was von den Ergebnissen seiner Betrachtungen, es ist aber immer wieder interessant, seine Denk- und Argumentationstechniken auf dem Weg dahin nachzuvollziehen. Einzelne gute Punkte finde ich dann sogar auch.
Es gibt im April übrigens eine Diskussion mit Peterson und Zizek, auf die ich mich schon freue.
Ich denke, dass der Zizek dem Peterson in der Argumentation als Gegner besser liegen dürfte als andersherum, interessant wird es aber auf jeden Fall, …nicht nur wo sie auseinanderliegen sondern wo sie vielleicht auch zusammenliegen.
Wenn ich's dann im Netz finde, stell ich es hier für Dich rein
;-)
p.s.
Zum Schluss übrigens nochmal ein Lob für Deine Jarmuschclips, die sind wirklich gut.