Selten, aber möglich: Aktien könnten Dekade im Minus beenden
Von Chet Currier
10. Oktober 2005 Mehr als die Hälfte des laufenden Jahrzehnts, um genau zu sein, fünf und dreiviertel Jahre, gerechnet bis Ende September des laufenden Jahres, sind die Indextafeln von Minuszeichen übersät gewesen. Der S&P-500 ist einschließlich Dividenden um 1,5 Prozent pro Jahr gesunken, der Nasdaq Composite Index weist auf Jahresbasis einen Verlust von 10,1 Prozent auf.
Um das schändliche Endergebnis einer von Kursrückgängen geprägten Dekade zu erreichen, müssen die Indizes eigentlich gar nichts Besonderes machen - außer da stehen zu bleiben, wo sie gerade sind.
Zurück zu den Dreißigern
Wäre das etwas Ungewöhnliches? Um zum Vergleich eine Strecke von zehn Kalenderjahren zu finden, in denen der S&P-500 einen Verlust verbucht hat, müssen wir an die Dreißigerjahre zurückdenken. In der jüngeren Vergangenheit stoßen wir auf die Zeitspanne zwischen Ende 1964 und 1974, in der der S&P-500 zwar einen jährlichen Gewinn von 1,2 Prozent inklusive Dividenden schaffte und der Dow Jones (der Nasdaq Composite existiert erst seit 1971) um bloße 0,3 Prozent pro Jahr stieg. Ohne Dividenden hätten jedoch sowohl der S&P-500 als auch der Dow Verluste verzeichnet. Diese kleine Information zeigt übrigens sehr schön, warum man niemals Dividenden verschmähen sollte.
Die Zeitspanne 1964 bis 1974 sticht besonders hervor, weil ihr Ende fast genau auf die Bodenbildung eines schwerwiegenden zweijährigen Bärenmarktes fiel. Auch eine weitere Periode der jüngeren Vergangenheit, 1992 bis 2002, endete ungefähr zeitgleich mit der Bodenbildung eines mehrjährigen Kursrückgangs. Aber in den Neunzigerjahren war der Aktienmarkt noch so stark, daß der S&P 500 aus der 2002 endenden Dekade trotzdem mit einem Gewinn auf Jahresbasis von 9,3 Prozent - und damit sehr nah an seiner historischen Durchschnittsrendite - aufstrebte.
Der Drang zum Mittelwert spricht dagegen
Ach ja, der langfristige Durchschnitt, auch als Prinzip der Rückkehr zum Gleichgewicht („reversion to the mean”) bekannt! Wenn Aktienmarktindikatoren wie so viele andere statistische Reihen von Natur aus tendenziell zum arithmetischen Mittel zurücktendieren, hätten wir dann nicht ein gutes mathematisches Argument für einen gesünderen Markt zwischen heute und dem Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts gefunden?
Sieht ganz so aus. Sollten moderne kapitalistische Volkswirtschaften eine automatische Neigung zum Wachsen haben, sinken die Chancen für einen Nettorückgang der Indizes mehr und mehr, da sich die Zeitspannen, die wir betrachten, in die Länge ziehen. „Solange die Tendenz zur Rückkehr zum Gleichgewicht nicht aufgehoben ist, bleibt es zweifelhaft, ob die Aktien dieses Jahrzehnt tatsächlich mit einem Verlust abschließen”, meint auch Chris McHugh, Fondsmanager bei Turner Investment Partners, der einen 15,6 Milliarden-Dollar-Fonds mitverwaltet.
Wir haben aber nicht die Dreißiger
„Natürlich kann ein Verlust nicht vollständig ausgeschlossen werden”, so McHugh in einem Kommentar im vierteljährlichen Newsletter aus dem Hause Turner. „Trotz allem, da vernünftige Investitionen auf Wahrscheinlichkeiten beruhen, denken wir, daß es wahrscheinlicher ist, daß Aktien zumindest ganz passabel abschneiden und für die Dekade 1999 bis 2009 doch eine positive Rendite schaffen.”
Die Erinnerungen aus den Dreißigerjahren sind in den heutigen Märkten fehl am Platz, weil sich die Weltwirtschaft in einem ganz anderen Stadium befindet und bei weitem nicht die Schwierigkeiten der damaligen Zeit zu bewältigen hat: Die Arbeitslosenrate in den Vereinigten Staaten beträgt fünf Prozent und nicht 25 Prozent. Außerdem genießen große Teile der Welt ein moderates bis starkes Wachstum, ohne daß weit und breit eine Depression in Sicht ist.
Ein großes Problem dieses Jahrzehnts ist die Frage des richtigen Zeitpunktes. Denn nichts bringt ein Aktienchart weiter nach unten als ein übermäßig hoher Startpunkt. Und das ist genau das, was der S&P 500 und andere Marktindizes mitgebracht haben, als sie dieses Jahrzehnt begonnen haben.
Abwarten ist die erste Bürgerpflicht
In den Achtziger- und Neunzigerjahren hat der S&P 500 pro Jahr 17,6 Prozent oder um fast das Doppelte seiner angenommenen Normalgeschwindigkeit hinzugewonnen. Das hat die Befürworter des Prinzips der Rückkehr zum Gleichgewicht dazu veranlaßt, hervorzuheben, daß ja der Bullenmarkt alle maßvollen Grenzen überschritten hat. Letztlich haben sie damit recht behalten.
Auf der Grundlage dieser Logik könnte für diese Gruppe eine Dekade mit schlechtem Endergebnis einfach eine gute Kaufgelegenheit darstellen. Bevor man aber mit diesem Gedanken zur Tat schreitet, ist es äußerst lehrreich, sich einmal anzuschauen, wie sich die Dinge nach der Periode 1964 bis 1974 entwickelt haben: Während von Ende 1974 aus heutiger Sicht tatsächlich von einer Zeit mit erstklassigen Kaufgelegenheiten gesprochen werden kann, kam der nächste Bullenmarkt letztlich jedoch erst Anfang der Achtzigerjahre richtig in Fahrt. Das Warten auf die Rückkehr zum Gleichgewicht kann einem an den Märkten also ganz schön Geduld abverlangen.
Der Autor ist Kolumnist für die Agentur Bloomberg.
Text: Bearbeitet von @mho
Von Chet Currier
10. Oktober 2005 Mehr als die Hälfte des laufenden Jahrzehnts, um genau zu sein, fünf und dreiviertel Jahre, gerechnet bis Ende September des laufenden Jahres, sind die Indextafeln von Minuszeichen übersät gewesen. Der S&P-500 ist einschließlich Dividenden um 1,5 Prozent pro Jahr gesunken, der Nasdaq Composite Index weist auf Jahresbasis einen Verlust von 10,1 Prozent auf.
Um das schändliche Endergebnis einer von Kursrückgängen geprägten Dekade zu erreichen, müssen die Indizes eigentlich gar nichts Besonderes machen - außer da stehen zu bleiben, wo sie gerade sind.
Zurück zu den Dreißigern
Wäre das etwas Ungewöhnliches? Um zum Vergleich eine Strecke von zehn Kalenderjahren zu finden, in denen der S&P-500 einen Verlust verbucht hat, müssen wir an die Dreißigerjahre zurückdenken. In der jüngeren Vergangenheit stoßen wir auf die Zeitspanne zwischen Ende 1964 und 1974, in der der S&P-500 zwar einen jährlichen Gewinn von 1,2 Prozent inklusive Dividenden schaffte und der Dow Jones (der Nasdaq Composite existiert erst seit 1971) um bloße 0,3 Prozent pro Jahr stieg. Ohne Dividenden hätten jedoch sowohl der S&P-500 als auch der Dow Verluste verzeichnet. Diese kleine Information zeigt übrigens sehr schön, warum man niemals Dividenden verschmähen sollte.
Die Zeitspanne 1964 bis 1974 sticht besonders hervor, weil ihr Ende fast genau auf die Bodenbildung eines schwerwiegenden zweijährigen Bärenmarktes fiel. Auch eine weitere Periode der jüngeren Vergangenheit, 1992 bis 2002, endete ungefähr zeitgleich mit der Bodenbildung eines mehrjährigen Kursrückgangs. Aber in den Neunzigerjahren war der Aktienmarkt noch so stark, daß der S&P 500 aus der 2002 endenden Dekade trotzdem mit einem Gewinn auf Jahresbasis von 9,3 Prozent - und damit sehr nah an seiner historischen Durchschnittsrendite - aufstrebte.
Der Drang zum Mittelwert spricht dagegen
Ach ja, der langfristige Durchschnitt, auch als Prinzip der Rückkehr zum Gleichgewicht („reversion to the mean”) bekannt! Wenn Aktienmarktindikatoren wie so viele andere statistische Reihen von Natur aus tendenziell zum arithmetischen Mittel zurücktendieren, hätten wir dann nicht ein gutes mathematisches Argument für einen gesünderen Markt zwischen heute und dem Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts gefunden?
Sieht ganz so aus. Sollten moderne kapitalistische Volkswirtschaften eine automatische Neigung zum Wachsen haben, sinken die Chancen für einen Nettorückgang der Indizes mehr und mehr, da sich die Zeitspannen, die wir betrachten, in die Länge ziehen. „Solange die Tendenz zur Rückkehr zum Gleichgewicht nicht aufgehoben ist, bleibt es zweifelhaft, ob die Aktien dieses Jahrzehnt tatsächlich mit einem Verlust abschließen”, meint auch Chris McHugh, Fondsmanager bei Turner Investment Partners, der einen 15,6 Milliarden-Dollar-Fonds mitverwaltet.
Wir haben aber nicht die Dreißiger
„Natürlich kann ein Verlust nicht vollständig ausgeschlossen werden”, so McHugh in einem Kommentar im vierteljährlichen Newsletter aus dem Hause Turner. „Trotz allem, da vernünftige Investitionen auf Wahrscheinlichkeiten beruhen, denken wir, daß es wahrscheinlicher ist, daß Aktien zumindest ganz passabel abschneiden und für die Dekade 1999 bis 2009 doch eine positive Rendite schaffen.”
Die Erinnerungen aus den Dreißigerjahren sind in den heutigen Märkten fehl am Platz, weil sich die Weltwirtschaft in einem ganz anderen Stadium befindet und bei weitem nicht die Schwierigkeiten der damaligen Zeit zu bewältigen hat: Die Arbeitslosenrate in den Vereinigten Staaten beträgt fünf Prozent und nicht 25 Prozent. Außerdem genießen große Teile der Welt ein moderates bis starkes Wachstum, ohne daß weit und breit eine Depression in Sicht ist.
Ein großes Problem dieses Jahrzehnts ist die Frage des richtigen Zeitpunktes. Denn nichts bringt ein Aktienchart weiter nach unten als ein übermäßig hoher Startpunkt. Und das ist genau das, was der S&P 500 und andere Marktindizes mitgebracht haben, als sie dieses Jahrzehnt begonnen haben.
Abwarten ist die erste Bürgerpflicht
In den Achtziger- und Neunzigerjahren hat der S&P 500 pro Jahr 17,6 Prozent oder um fast das Doppelte seiner angenommenen Normalgeschwindigkeit hinzugewonnen. Das hat die Befürworter des Prinzips der Rückkehr zum Gleichgewicht dazu veranlaßt, hervorzuheben, daß ja der Bullenmarkt alle maßvollen Grenzen überschritten hat. Letztlich haben sie damit recht behalten.
Auf der Grundlage dieser Logik könnte für diese Gruppe eine Dekade mit schlechtem Endergebnis einfach eine gute Kaufgelegenheit darstellen. Bevor man aber mit diesem Gedanken zur Tat schreitet, ist es äußerst lehrreich, sich einmal anzuschauen, wie sich die Dinge nach der Periode 1964 bis 1974 entwickelt haben: Während von Ende 1974 aus heutiger Sicht tatsächlich von einer Zeit mit erstklassigen Kaufgelegenheiten gesprochen werden kann, kam der nächste Bullenmarkt letztlich jedoch erst Anfang der Achtzigerjahre richtig in Fahrt. Das Warten auf die Rückkehr zum Gleichgewicht kann einem an den Märkten also ganz schön Geduld abverlangen.
Der Autor ist Kolumnist für die Agentur Bloomberg.
Text: Bearbeitet von @mho