ARIVA.DE: In unserem letzten Interview anlässlich des Wahlsiegs von Donald Trump zeichneten Sie ein äußerst negatives Bild vom neuen US-Präsidenten. Der Wahlkampf ist inzwischen vorbei – hat sich seitdem etwas an ihrer Beurteilung Trumps geändert?
Prof. Dr. Torsten J. Selck: Im Grunde hat Donald Trump seit dem Ende des Wahlkampfes nichts anderes verlauten lassen als schon während des Wahlkampfes. Mit dem Beginn seiner Amtszeit könnte allerdings eine neue Phase beginnen: Es ist unklar, was passieren wird, wenn Trumps Rhetorik nun auf die politische, insbesondere auf die außenpolitische Realität trifft – beispielsweise bei einer Konfrontation mit China.
ARIVA.DE: Trump fällt durch einen ungewöhnlichen Politikstil auf. Beobachter sprechen von einer „Twitter presidency“. Gibt es für diesen Stil, der auf soziale Medien und prägnante Botschaften setzt, historische Vorbilder und Einschätzungen seitens der Politikwissenschaft?
Selck: Kurz gesagt: Nein. Was gerade im Bereich der sozialen Netze passiert, ist absolut neu. Es gibt einen Ansatz des Harvard-Professors und ehemaligen Obama-Beraters Cass Sunstein. Sunstein bezeichnet die Folgen des Internets als „Gruppenpolarisierung“: Aufgrund der Struktur des Internets und der sozialen Medien wird man demnach vermehrt mit der eigenen Meinung konfrontiert – der vermittelnde Einfluss der traditionellen Massenmedien verschwindet zusehends. Trumps Politikstil setzt auf einen Faktor, der von den Demokraten und den liberalen Eliten bisher nicht genügend beachtet wurde: Den Zorn des ‚kleinen Mannes‘. Viele Amerikaner sind mit ihrem Leben unzufrieden – unzufrieden mit der Veränderung in den letzten Jahrzehnten, unzufrieden mit der Globalisierung. Viele US-Bürger sagen: Ich arbeite hart und habe denselben Job wie mein Vater, der ein Haus bauen und eine Familie gründen konnte – mir gelingt das nicht. Für viele ist das ein Widerspruch zum ‚amerikanischen Traum‘ und der Grund, jemanden zu wählen, der verspricht, mit diesen Verhältnissen aufzuräumen.
ARIVA.DE: Kann Trump diesen Menschen helfen?
Selck: Vermutlich nicht – und teilweise glauben die Leute auch gar nicht daran, dass Trump so viel besser machen wird. Sie wollten in erster Linie jemanden wählen, der ein großer Gegner der liberalen Eliten ist. Anders ist auch das Paradoxon nicht zu erklären, dass die Menschen in den Vereinigten Staaten gegen ihre ökonomischen Interessen gewählt haben: Man weiß, dass die Sozialpolitik der Demokraten sich eher an Menschen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status richtet als die Sozialpolitik der Republikaner.
ARIVA.DE: Wie ist dieses aus Ihrer Sicht paradoxe Wahlverhalten zu erklären?
Selck: Es gibt eine Studie des New Yorker Politologen Jonathan Nagler zu diesem Thema. Nagler hat herausgefunden, dass jemand umso weniger zwischen den wirtschafts- und sozialpolitischen Zielen von Demokraten und Republikanern differenzieren kann, je niedriger sein eigener sozio-ökonomischer Status ist. Stattdessen wird Sympathie zum ausschlaggebenden Faktor der Wahlentscheidung – dabei konnte Trump mit seiner hohen Popularität punkten.
ARIVA.DE: Apropos Popularität: Ist es denkbar, dass Trump als Präsident nur als öffentliches Aushängeschild dienen wird, die tatsächlichen Regierungsgeschäfte aber von anderen Personen geführt werden?
Selck: Das ist eine Hoffnung, die einige Leute hegen: Trump spielt nur eine öffentliche Rolle, während er das Regierungshandeln den Experten überlässt. In Teilen ist das so, in anderen Teilen nicht: Einerseits ist Trump als Macher und Entscheider bekannt, der seine Regierung mit Leuten besetzt hat, die ihm gegenüber loyal sind. Andererseits hat er Experten mit teils gegensätzlichen Meinungen in sein Team geholt. Es bleibt spannend, wer sich hier letztlich durchsetzen wird.
ARIVA.DE: Wie wird sich die republikanische Partei während Trumps Amtszeit entwickeln?
Selck: Auf der einen Seite gibt es jetzt wieder ein „unified government“ (Anm.: „vereinte Regierung“) in den USA – sowohl Präsident als auch Kongress sind nun republikanisch. Auf der anderen Seite gibt es innerparteilich große Differenzen. Trump ist für die Partei effektiv ein Außenseiter, der nicht dem typischen republikanischen Politiker entspricht. Als Beispiel sei seine Haltung zum Protektionismus genannt: Die Mehrzahl der Republikaner ist nicht protektionistisch eingestellt, sondern präferiert den Freihandel. Die nun beginnende Amtszeit wird zeigen, inwieweit es hier zu Konflikten kommt.
ARIVA.DE: Trump äußerte sich wiederholt negativ über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, nannte Angela Merkel aber zugleich eine „großartige Anführerin“. Was erwarten Sie von der Zusammenarbeit der neuen US-Regierung mit Deutschland und wie sollte sich die Bundesregierung gegenüber Trump verhalten?
Selck: Da Trump nun gewählt ist, wird man mit ihm leben müssen – und ich persönlich denke auch, dass das möglich sein wird. Es war teilweise nicht ganz glücklich, wie deutsche Politiker auf seinen Wahlerfolg reagiert haben. Interessant wird sein, wie nachtragend Trump sein wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel hingegen hat besonnen und diplomatisch reagiert. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass es eine gute Zusammenarbeit zwischen Trump und der Kanzlerin geben wird.
ARIVA.DE: Trump bezeichnete die NATO in einem Interview als „obsolet“ und prophezeite den Niedergang der Europäischen Union. Wie beurteilen Sie die weitere Entwicklung dieser Institutionen – gerade auch vor dem Hintergrund von Trumps Präsidentschaft?
Selck: Ich halte Trumps Kritik an der NATO, vor allem an der unterschiedlichen Beteiligung der Mitgliedsstaaten an ihren Ausgaben, für legitim. Viele NATO-Staaten tragen deutlich weniger als die vereinbarten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes zur NATO bei – neben den USA liegen nur Großbritannien, Frankreich, Estland, Portugal, Griechenland und die Türkei über dieser Zwei-Prozent-Marke. Es kann gut sein, dass Deutschland künftig deutlich höhere Militärausgaben leisten muss – auch, um seinen wachsenden außenpolitischen Aufgaben gerecht werden zu können. Durch Trump wird der Aufwärtstrend bei der außenpolitischen Bedeutung Deutschlands möglicherweise verstärkt. Was die Europäische Union betrifft, gehe ich nicht mit den Untergangs-Propheten konform. Wir wissen seit Dienstag, dass es zu einem harten Brexit kommen wird. Die Europäische Union wird bei den Austrittsverhandlungen mit Großbritannien hart verhandeln und auf diese Weise auch anderen Ländern signalisieren, dass ein EU-Austritt mit enorm hohen Kosten verbunden ist. Die in diesem Jahr stattfindende Präsidentschaftswahl in Frankreich stellt Europa jedoch vor einen Scheideweg: Sollte die nächste französische Präsidentin Marine Le Pen heißen, wird es um die Zukunft der EU – völlig losgelöst von Trump – tatsächlich düster.
Zur Person:
Prof. Dr. Torsten J. Selck lehrt am Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Oldenburg Vergleichende Politikwissenschaft. Selck lehrte und forschte unter anderem an der Universität Leiden, der University of Nottingham und der Bilkent-Universität in Ankara. Neben der Vergleichenden Politikwissenschaft sind seine Forschungsgebiete EU-Politik, Internationale Politik und Organisationstheorie.
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