Freitag, 25.11.2016 08:49 von Robert Halver | Aufrufe: 1003

Halvers Markteinschätzung: Trumponomics - Should I stay or should I go?

Die Analyse des Vorher-Nachher-Trump geht weiter. Wie viel realpolitische Substanz hat sein Wahlprogramm tatsächlich? Und was heißt das für die Anlageklassen? Bleibt die Trump-Rallye bestehen? Wird an den US-Aktienmärkten weiter die Zukunft seiner ökonomischen Wundermedizin bezahlt oder scheitert sie z.B. an geldpolitischen Hemmnissen? Inwieweit können deutsche Industrieaktien von den Trumponomics profitieren? Signalisiert hier Trumps Rückzug vom Transpazifischen Handelsabkommen bereits kommendes Ungemach? Ohnehin schwebt über europäischen Aktien das Damoklesschwert des Super-Polit-Jahres 2017.

 

„Trump Jump“ bei US-Aktien von Dauer?

 

Das Vorhaben, US-Wirtschaft und -Arbeitsmarkt mit Infrastrukturinvestitionen, Deregulierungen im Energie- und Finanzsektor und massiven Steuersenkungen zu dynamisieren, wird Trump umsetzen müssen, um seine Wähler, die durch die Aufweichung seiner Wahlkampfthesen bereits irritiert sind, nicht zusätzlich zu enttäuschen. Damit sind fundamentale Argumente für eine nachhaltig stabile Aktienentwicklung in Amerika gegeben.

 

Die Trump-Administration wird binnenwirtschaftlich klotzen, nicht nur kleckern. Sorgen, dass diese Konjunkturoffensive die ohnehin atemberaubende US-Staatsverschuldung bis 2021 erneut um fünf Bill. US-Dollar ansteigen lassen dürfte, sind berechtigt. Dennoch, um deren reibungslose Finanzierung zu ermöglichen, setzen die US-Aktienmärkte darauf, dass die Fed - die Konjunktur- gegenüber Stabilitätspolitik gerne Priorität einräumt - einen wirklich restriktiven geldpolitischen Kurs nicht verfolgen wird. In Europa wird überhaupt oft verkannt, dass Schulden in Amerika nur als Mittel zum Zweck, als Instrument zur Konjunkturförderung betrachtet werden. Insgesamt wird Amerika zu einem wirtschaftlich sicheren Hafen mit Ausstrahlung auf US-Aktien.

 

Trump als handelspolitischer Diktator?

 

Ohne Zweifel stimmen die von der neuen amerikanischen Regierung angeschlagenen handelspolitischen Töne alarmierend. Trumps Rückzug vom Transpazifischen Handelsabkommen TPP ist ein Paukenschlag, auch weil die Region Asien/Pazifik für die USA wirtschafts- und geopolitisch als logischer Nachfolger des früheren Interessengebiets Atlantik gilt. Doch wird auch unter Trump der transpazifische Handel nicht eingeschränkt, sondern „amerikanisiert“. Durch bilaterale Handelsabkommen lassen sich US-Bedingungen sicherlich besser umsetzen als in Verhandlungen mit einer geschlossen auftretenden Gegenpartei.

 

Damit wird auch der amerikanische Zeigefinger Richtung Europa erhoben. TPP ist tot und TTIP hat unter Trump ganz gewiss keine Chance auf Wiederauferstehung. Die USA werden die EU auffordern, über höhere Neuverschuldung und großzügige Schuldenschnitte nicht nur für Griechenland mehr globale positive Konjunkturstimmung zu entfalten. Nur bei „Entgegenkommen“ werden sich protektionistische amerikanische Maßnahmen vermeiden lassen. Es ist nicht zu erwarten, dass Amerikas Interessen auf allzu großen Widerstand einer ohnehin wenig geschlossenen EU-Phalanx treffen. Länder wie Deutschland hätten aufgrund ihrer Exportabhängigkeit ansonsten viel zu viel zu verlieren. Vor allem im Wahljahr 2017 wird Europa wenig arbeitsplatzgefährdende Gegenwehr zeigen.

 

Insgesamt dürfte sich Europa „kooperativer“ zeigen als Asien. Diese handelspolitische Einschätzung signalisieren auch die Aktienmärkte: DAX und Euro Stoxx 50 entwickeln sich seit November deutlich stabiler als der Sammelindex der Schwellenländer.

 

Leidet die deutsche Industrie unter Trumpophobie?

 

Trotz der potenziellen handelspolitischen Gefahr, die von der neuen US-Regierung ausgeht, hält sich die Aufregung im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands in Grenzen. Man vertraut auf eine weit weniger dramatische Realpolitik. Sowohl ifo Geschäftserwartungen als auch ifo Geschäftsklima für November halten sich mit Rückgängen zurück. Die ifo Geschäftslage zeigt sich sogar weiterhin stabil.

 

Für konjunktursensible deutsche Aktien spricht durchaus, dass ein sich reindustrialisierendes Amerika an deutschem Industrie-Know How nicht vorbeikommt. Davon profitieren insbesondere mittelständischen Werte, die mit ihren Qualitätsprodukten und Patenten Weltmarktführer auch in Nischenmärkten sind. Vor diesem Hintergrund dürfte die seit Juli 2016 zu beobachtende, relative Schwäche von Titeln des MDAX und SDAX zum DAX auslaufen und einen Trendumschwung verstetigen.

 

Wie schwach wird der Euro?

 

Ein schwächerer Euro ist grundsätzlich ein unterstützender Faktor für deutsche Exportaktien, mindestens im Kopfkino der Anleger. Denn Erwartungen einer von der US-Wachstumsoffensive ausgehenden sogenannten „Trumpflation“ schüren Ängste vor einer restriktiven US-Notenbank, die über höhere Leitzinsen und Anleiherenditen zu einer Aufwertung des US-Dollar führt. Diese Dollar-Befestigung würde aber nicht nur die US-Wirtschaft exportseitig bremsen, sondern könnte auch zu einer Kapitalflucht aus den für die Weltkonjunktur bedeutenden Schwellenländern führen bzw. ihren Zinsdienst der zu großen Teilen in US-Dollar denominierten Verschuldung erschweren. Im Übrigen erklärt auch dies die Underperformance der Aktienmärkte der Schwellenländer.

 

Allerdings ist aus Gründen einer ansonsten globalen finanz- und realwirtschaftlichen Verunsicherung nicht von einer konsequent restriktiven Zinspolitik der Fed und steigenden Anleiherenditen auszugehen, die zu systemischen Finanzmarktrisiken führten.

 

Da gleichzeitig die Rendite-Tiefs in der Eurozone trotz anhaltender Liquiditätsoffensive der EZB durchschritten sind, ist mit einer nachhaltigen Ausweitung der Renditedifferenz - wesentliches Argument für Wechselkursbewegungen - zugunsten des Dollars nicht zu rechnen. Der Euro-USD-Wechselkurs dürfte sich im Jahresverlauf 2017 um 1,04 einpendeln.

 

Steuerwettbewerb kommt ganz groß in Mode

 

Steuererleichterungen allein haben in vielen Ländern bereits für eine markante Standortverbesserung gesorgt. Trotz vermeintlichem Steuerausfall können sie sogar das Gegenteil bewegen, wenn global agierende Unternehmen - auch aus Konkurrenzdruck - ihre Gewinne in diesen Ländern versteuern oder dort investieren und Arbeitsplätze aufbauen. Dieses Rezept wird nicht nur Donald Trump für die USA, sondern auch Theresa May für Großbritannien verfolgen. Die britische Premierministerin ist geradezu gezwungen, einer durch Brexit geschädigten Wirtschaft mit geeigneten Instrumenten wieder Stabilität zu verleihen.

 

May kündigte bereits an, die Unternehmenssteuern von 20 auf 15 Prozent zu senken. U.a. für diesen Konjunkturimpuls lässt man in London 2017 gerne eine deutliche staatliche Neuverschuldung in Höhe von umgerechnet 143 Mrd. Euro zu.

 

Trump verspricht sogar noch eine markantere Steuersenkung von 35 auf 15 Prozent. Interessanterweise gelten die USA momentan in puncto Unternehmensbesteuerung als „Hochsteuerland“. Insgesamt läge damit das britische und US-amerikanische Steuerniveau auf dem niedrigsten Niveau aller 20 größten Industrieländer.

 

Mit rund doppelt so hohen Unternehmenssteuern (29,83 Prozent) entstünde Deutschland ein massiver Wettbewerbsnachteil, der zu Investitions- und Steueranfallverlagerungen führen könnte. Die Lobbyisten vor allem der Exportunternehmen werden ihren Druck auf Steuererleichterungen zukünftig massiv erhöhen.

 

Marktlage und Anlegerstimmung - Bewertungsfrage und politische Risiken als Gefahr für die Jahresend-Rallye?

 

Seit spätestens 2008 haben sich die Bewertungen von US-Staatspapieren auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) dramatisch erhöht. Dadurch wurden hohe absolute Aktienbewertungen des S&P 500 relativ geheilt. Tatsächlich ist der amerikanische Aktienmarkt mit einem KGV von aktuell ca. 17 nicht als historisch günstig zu beschreiben. Würde die bereits eingesetzte Bewertungsnormalisierung des amerikanischen Rentenmarkts unbeirrt weitergehen, bräche auch das Bewertungsalibi für US-Aktien ein. Die theoretischen Kollateralschäden, die hiermit verbunden wären, können praktisch nur begrenzt zugelassen werden.

 

Mit Blick auf insgesamt ausbleibende dramatische Strukturveränderungen am Rentenmarkt bleibt auch der Renditevorsprung von Dividenden gegenüber Zinsvermögen erhalten.

 

Die in den USA von einer noch nicht klar abschätzbaren Amtsführung Trumps und in der Eurozone von mindestens drei Nationalwahlen ausgehenden Risiken, schüren Ängste um die Finanzstabilität in Europa. Der erste Gefahrenherd ist das am 4. Dezember stattfindende Verfassungsreferendum in Italien. Bei diesem als Anti-Establishment- und Europa-Wahl hoch stilisiertem Votum liegt das Nein-Lager aktuellen Umfragen zufolge mit 53,8 zu 46,2 Prozent klar vorne. Wäre das Endergebnis entsprechend, kommen die europäischen Aktienmärkte bei dann vier Nationalwahlen im nächsten Jahr aus der politischen Verunsicherung gar nicht mehr heraus.

 

Erste Anzeichen kommen bereits in einem Anstieg des von der BNP Paribas veröffentlichten Political Risk Index zum Ausdruck, der die politischen Risiken für die Euro-Finanzmärkte misst. Im Trend sind mit ihm auch entsprechende Kursschwankungen verbunden. Aktuell allerdings scheinen diese jedoch noch nicht auf die ansteigenden politischen Risiken zu reagieren. Bei einer Ablehnung des italienischen Verfassungsreferendums ist mit deutlich größeren Kursschwankungen am deutschen Aktienmarkt zu rechnen.

 

Auch der vergleichsweise hohe Anteil der Optimisten am US-Aktienmarkt, der auf den höchsten Wert seit Februar 2015 gestiegen ist und damit deutlich über der oberen Begrenzung der ersten Standardabweichung liegt, liefert als Kontraindikator Argumente für zwischenzeitliche Aktienschwankungen und -konsolidierungen in den USA.

 

Einem wirklichen Unsicherheitsschock wird u.a. die EZB zur Verhinderung des Wildwuchses einer systemischen Polit-Krise wirksam entgegentreten. Gerne im vorauseilenden Gehorsam auftretende Direktoriumsmitglieder der EZB haben sich mit der kürzlichen Warnung vor ständigen Währungsschocks und höheren Risiken für die Finanzmarktstabilität bereits ausreichend Alibis besorgt, um auch zukünftig geldpolitisch kraftvoll zubeißen zu können.

 

Insgesamt ist die fortgesetzte Übergewichtung von Aktien weiter zu empfehlen.

 

Charttechnik DAX - Vor einer schwer überwindbaren Hürde

 

Charttechnisch liegt beim DAX eine erste markante Barriere bei 10.802. Wird diese nachhaltig durchbrochen, treten weitere Widerstände bei 11.055, 11.187 und schließlich bei 11.431 Punkten in den Vordergrund. Kommt es beim DAX zu einer Gegenreaktion, liegt eine wichtige Unterstützung zunächst bei 10.535. Wird diese durchbrochen, ist mit Kursverlusten bis zu den Haltelinien bei 10.492, 10.383 sowie darunter bei 10.250 Punkten zu rechnen.

 

Der Wochenausblick für die KW 48 - ISM Index als Frühindikator für Trumps Wirtschaftspolitik

 

In China signalisiert der fortschreitende Seitwärtstrend des offiziellen sowie vom Finanzdatenanbieter Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe eine konjunkturelle Stabilisierung auf aktuell niedrigem Niveau.

 

In den USA erholt sich das vom Conference Board veröffentlichte Verbrauchervertrauen leicht, was auch in stabilisierten Konsumentenausgaben zum Ausdruck kommt. Der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe geht nach der starken Erholung der Vormonate in einen Seitwärtstrend über. Das gilt auch für den monatlichen Stellenaufbau, der sich nur mit moderater Geschwindigkeit fortsetzt.

 

In der Eurozone bestätigen ein unverändertes Wirtschaftsvertrauen der EU-Kommission sowie erste Schätzungen einer auch im November grundsätzlich schwachen Inflation die EZB in ihrer Absicht, ihre Liquiditätsoffensive im Rahmen ihrer Sitzung im Dezember auszuweiten.

 

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Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieren und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit 1990. Robert Halver ist durch regelmäßige Medienauftritte, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen und als Kolumnist präsent.
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