Sonntag, 28.02.2016 12:36 von Klaus Stopp | Aufrufe: 365

Alle haben zumindest ein bisschen Angst vor dem Brexit

Wer hat Angst vor dem Brexit, also dem Austritt von Großbritannien aus der EU? Die Antwort lautet: Alle, zumindest fast alle - Gegner wie auch Befürworter, aber vor allem die Länder der restlichen EU. Immerhin ist man Premierminister David Cameron weitgehend entgegengekommen. Auch die Befürworter sehen gewisse Risiken, sind aber unterm Strich der Meinung, dass ein Austritt die beste Lösung für UK wäre. Allerdings hat sich mit Boris Johnson, dem Bürgermeister von London, ein politisches Schwergewicht als Brexit-Anhänger geoutet, was zugleich verdeutlicht, wie zerrissen Camerons Tories sind. Es ist nicht auszuschließen, dass sich noch weitere konservative Politiker offen gegen das von ihrem Premierminister ausgehandelte Paket stellen.

Am 23. Juni dieses Jahres werden die Bürger im Vereinigten Königreich nun also über den Verbleib in der EU entscheiden. Bis zu diesem Zeitpunkt wird ein offener Schlagabtausch zwischen beiden Lagern nicht nur die Stimmung in England und dem restlichen Europa, sondern auch in den USA prägen. Noch hat nur David Cameron den ersten Schritt Richtung Verbleib in der EU machen können. In seinem Fall weiß die Bevölkerung, was auf sie zukommen wird. Die Brexit-Befürworter sind dagegen die Darstellung ihrer Vision bisher schuldig geblieben. Denn ein Loslösen von der EU würde viele Veränderungen nach sich ziehen, deren Auswirkungen nicht bis ins Detail vorhersehbar sind. Aber nicht nur der Verlauf der Referendumsdebatte wird über den Ausgang der Abstimmung entscheiden, sondern auch die Höhe der Wahlbeteiligung. Aktuell wird das Brexit-Risiko auf eine Wahrscheinlichkeit von ca. 45% geschätzt, doch dieser Wert wird bei einer hohen Wahlbeteiligung eher tiefer liegen. Somit kommt es auch darauf an, die Bevölkerung von der Abgabe ihrer Stimme zu überzeugen. Im Zweifelsfall werden davon eher die Brexit-Gegner Gebrauch machen.

Grundsätzlich ist zu dem Entgegenkommen, das Brüssel gegenüber Großbritannien gezeigt hat, zu sagen, dass es schon beschämend ist, wenn man ein Land mit finanziellen Anreizen zum Verbleib in einer Gemeinschaft bewegen muss. Sicherlich ist in der EU vieles reformbedürftig, und wenn wir ehrlich sind, dann wurde es auch mal Zeit, dass sich jemand der Probleme angenommen hat. Nur sollten diese Zugeständnisse von allen Mitgliedern aufgegriffen werden und nicht nur einem Land zum Vorteil gereichen. Sollte das nicht eintreten, dann wäre ein neues Ungleichgewicht erzeugt, das wiederum nur mit Hilfe eines historisch vorbelasteten Partners zu stemmen wäre. Die anderen europäischen Wirtschaftsgroßmächte haben genug mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen.

Ein deutlicher Beweis hierzu wurde in der vergangenen Woche von Standard & Poor’s mit dem Beibehalten des negativen Ausblicks für den Rettungsfonds EFSM erbracht. Hierbei dienten die wirtschaftlichen Probleme Frankreichs, dem zweitgrößten Garantiegeber des Europäischen Finanzstabilitätsmechanismus (EFSM), als Begründung.

Das System krankt anscheinend an allen Ecken und Kanten und ist in der jetzigen Form nicht dauerhaft überlebensfähig. Infolge eines möglichen Brexit würden in einer ersten Reaktion sicherlich die restlichen EU-Staaten zusammenrücken und die Nähe zu Deutschland suchen. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass lediglich monetäre Gründe dafür verantwortlich wären. Sollten aber insbesondere die in der Flüchtlingskrise zutage getretenen Differenzen die Szenerie beherrschen, dann würde sich der Brexit als Beginn des Auseinanderbrechens der EU erweisen. Doch Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber, und das sollten auch die europäischen Politiker endlich verinnerlicht haben. Wenn schlussendlich der „Liebesbeweis“ eines Partners mittels finanzieller Unterstützung erkauft werden soll, dann sollte man sich daran erinnern, dass dieses Modell in jeder menschlichen Beziehung früher oder später zum Scheitern verurteilt ist.

 

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Baader Bank AG
Klaus Stopp ist Head of Market Making Bonds bei der Baader Bank AG. Baader betreut an den Börsenplätzen Berlin, Frankfurt und München u.a. den Handel mit Anleihen und betreut Deutschlands führende Anleihen-Website Bondboard.
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