Mittwoch, 23.11.2016 11:07 von Robert Halver | Aufrufe: 797

Halvers Kolumne: Wie viel Angst müssen Anleger vor dem GAU an den Zinsmärkten haben?

An niedrige Zinsen haben wir uns gewöhnt wie an Tagesschau, den sonntäglichen Tatort oder Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Sicherlich, damit wurde unsere deutsche vor allem auf Zinsvermögen basierende Altersversorge von den Notenbanken sturmreif geschossen. Doch unsere (Finanz-)Welt hätte weder die Immobilien- noch diverse Euro-Krisen ohne die barmherzige Geldpolitik seit 2008 überlebt.

 

Auch Deutschland hätte nicht die offenen Rechnungen der Schwestern und Brüder der Eurozone bezahlen können, ohne seinen eigenen Staatshaushalt zu ruinieren oder Steuern und Sozialabgaben kräftig zu erhöhen. Und die aktuell wie eine Monstranz zur Schau getragene schwarze Null der Bundesregierung hätte es auch nie gegeben.   

 

Marktwirtschaft kann man suchen, am Rentenmarkt wird man sie sicher nicht finden

 

Es gab einmal eine Zeit, da spürten Länder, die der Schuldenmanie verfielen und sich weigerten, wirtschaftliche Reformhausaufgaben zur Sicherstellung ihrer Schuldentragfähigkeit durchzuführen, die harte Knute der Finanzmärkte. So wie leistungsunwillige Schüler schlechte Noten erhalten, wurden Staatspapiere mit steigenden Renditen und Verkaufsproblemen bestraft. Und jetzt mal ehrlich: Kann es angesichts von weltweit annähernd 250 Bill. US-Dollar Schulden - Tendenz weiter steigend - oder mangelnder Bonität der meisten Euro-Staaten auch nur einen winzigen Grund für niedrige Zinsen geben? Normalerweise nicht! Aber wo ein geldpolitischer Wille, da ein finanzwirtschaftlicher Weg: Heutzutage sorgen planwirtschaftliche Anleihekäufe der Notenbanken für niedrige Schuldzinsen und entsorgen gleichzeitig das Absatzproblem von staatlichen Schuldtiteln.

 

Die Angst vor der Zinswende

 

Doch genau damit hat die internationale Bruderschaft des freizügigen Geldes die am meisten überbewertete Anlageklasse aller Zeiten geschaffen: Das Zinsvermögen.

 

Verständlicherweise will kein Anleger hier investiert sein, wenn diese unter enormem Überdruck stehende Anlageblase durch eine massive Zinswende platzen sollte.

 

Aber wie könnte es zu dieser Zinswende kommen? Das Szenario einer durch die Trumponomics kaltgestarteten US-Konjunktur hat das Potenzial von weltweitem Inflationsdruck. Hinzu kommen steigende Rohstoffpreise wegen Förderkürzungen durch das Ölkartell Opec. Denn sollte Trump den Atom-Deal mit dem Iran aufkündigen, wäre auch die Rückkehr des Iran an den Rohölmarkt beendet. Insofern müssten die Opec-Staaten ihre hohen Förderquoten im Preiskampf mit dem Erzfeind Iran zur Verteidigung von Marktanteilen nicht mehr aufrechterhalten.

 

Gemäß geldpolitischem Lehrbuch würde schnell der „Casus Belli“, der Kriegsfall ausgerufen: Mobilmachungen in Form von Leitzinserhöhungen und Zurückführungen von Anleiheaufkäufen zum Zwecke der Inflationsvorbeugung sind unverzüglich durchzuführen.

 

Tatsächlich scheint der Rentenmarkt bereits erste Signale einer Renditewende bei US-Staatspapieren einzupreisen. Und da der US-Anleihemarkt für die globalen Rentenmärkte der unbestrittene Leithammel ist, sind auch leichte Renditesteigerungen in Deutschland zu beobachten.

 

Überhaupt, eine seit 1981, also mittlerweile seit 35 Jahren andauernde Anleihehausse schreit doch förmlich nach Trendumkehr, oder?

 

Ginge der Umkehrschub bei Renditen unvermindert weiter, wären vor allem große Kapitalsammelstellen und Vermögensverwalter gezwungen, ihre gewaltigen Anleihebestände vorbeugend zu verkaufen. Sie sind ohnehin starkem Konkurrenzdruck ausgesetzt. Sie werden dann  nicht warten, bis aus Buchgewinnen Buchverluste werden. Und je mehr Good Bye zu Anleihen sagen, umso mehr steigen die Renditen. Die Baisse nährt die Baisse.

 

Zinserholungen sind auch Gift für die größte konkurrierende Anlageklasse „Aktien“. Der deutsche Leitindex DAX befindet sich auf dem aktuell relativ hohen Kursniveau nicht aus fundamentalen Gründen, sondern vor allem wegen der seit 2008 stark gesunkenen Renditen der größten Alternativanlage „Zinsvermögen“. Früher, als es für deutsche Staatspapiere noch was gab, hatte der DAX keine Chance, nachhaltig über 8.000 Punkte zu steigen. Warum auch bei risikolosen und attraktiven Brot und Butter-Renditen von vier bis fünf Prozent. Sollte es zu einer klaren Renditeumkehr nach oben kommen, hätte der Aktienmarkt heute erneut schlechte Karten.

 

Ist ein Anleihe-Crash möglich?

 

Kein Anleger muss sich vor einer amerikanischen Zinspolitik mit Schaum vor dem Mund wie zwischen 2004 und 2006 fürchten. Mit einem Anstieg von einem auf 5,25 Prozent hatte die Fed damals nicht nur die ungeliebte Immobilienblase wie eine Schmeißfliege auf der Vase zerschlagen, sondern die Vase gleich mit: Mit einem Schlag hat auch die Weltkonjunktur den Löffel abgegeben. Eine Wiederholung wäre mit „dämlich“ noch nett umschrieben.

 

Trumps staatliche Konjunkturoffensive ist ohne stramme weitere Neuverschuldung nicht möglich. Laut Daten vom IWF wird die US-Staatsverschuldung bis zur nächsten Präsidentenwahl 2021 um etwa fünf Billionen US-Dollar steigen. Das ist noch einmal ein Viertel mehr als der bisherige Schuldenkönig Barack Obama hinterlässt. Wer sonst außer der Fed kann eine renditegünstige Finanzierung garantieren, die den US-Staatshaushalt nicht völlig ruiniert. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass Frau Yellen eher als Konjunkturunterstützerin, weniger als Inflationsbekämpferin gilt. In ihr schlummert deutlich mehr Taube als Falke.

 

Auch Japan oder China haben keine Chance, aus der Happy Hour der geldpolitischen Freizügigkeit zu entkommen. Ansonsten droht die Deflation. Und die Briten? „Dank“ Brexit und damit verbundenem Umbau ihrer Volkswirtschaft werden die Schulden sprießen wie Unkraut im Vorgarten. Wenn da der kanadische Chef der Bank of England nicht hört, werden die britischen Kreditmärkte fühlen müssen.

 

Und in der Eurozone hat die EZB ohnehin noch keinen konjunkturellen Durchbruch erreicht. Für geldpolitischen Umkehrschub gibt es also keine Berechtigung. Im Übrigen würden übermäßige Renditeerhöhungen die Bedienung der aus dem Ruder gelaufenen Staatsverschuldung unmöglich machen. Alternativ müssten Schulen oder Krankenhäuser geschlossen und Sozial- und Rentenleistungen gekürzt werden. Dann allerdings würden die Straßen nicht mehr den Flaniergästen und Kaufhausbummlern gehören, sondern enttäuschten Wut- und Wahlbürgern mit jeder Menge sozialem Sprengstoff. Zur Erinnerung: 2017 finden mindestens drei und mit Italien - wenn Ministerpräsident Renzi am 4. Dezember sein Verfassungsreferendum verliert - eventuell sogar vier Nationalwahlen in Euroland statt. 

 

Weiter so! Die Illusion „stabiler“ Finanzmärkte muss genährt werden

Vor diesem Hintergrund ist der EZB auch eine konsequente Inflationsbekämpfung der Marke Deutsche Bundesbank nicht mehr möglich. Stabilitätspolitik heißt heutzutage nicht mehr Stabilität von Preisen, sondern Stabilität von Finanzmärkten und der Eurozone.  

 

Insgesamt werden die Anleiherenditen zwar keine neuen Tiefstände mehr erreichen. Doch müssten unsere geldpolitischen Rettungsengel mit der Muffe gepufft sein, wenn sie eine teuflische Renditewende zuließen. Damit zerstörten sie ihr eigenes Rettungswerk. Sie wissen genau, dass man gezähmte Kreditmärkte nicht einfach wieder in die freie Wildbahn entlassen kann. Spekulanten würden sie auffressen wie Füchse arglose Käfighühner, denen man plötzlich Freigang erlaubt hat. Im Extremfall drohte Weltkonjunktur und Weltfinanzsystem aufgrund der globalen Überschuldung der finale Systemkollaps. Ohnmächtig sind die Notenbanken gezwungen, das Zinsänderungsrisiko überschaubar zu halten.

 

Der große anlagetechnische Strukturbruch bleibt erzwungenermaßen aus. Die Konkurrenz von Anleihen im Vergleich zu Aktien und nicht zuletzt ihren Dividendenrenditen hält sich in Grenzen. Und ein bisschen Rotation von Renten in Aktien kann da nicht schaden, im Gegenteil. 

 

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Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieren und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit 1990. Robert Halver ist durch regelmäßige Medienauftritte, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen und als Kolumnist präsent.
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