Von Rick MacDonald, Analyst bei S&P MMS
17. Jan. 2002 Alan Greenspans Rede der vergangenen Woche, in deren Mittelpunkt die Risiken einer Abschwächung der Nachfrage standen, hat für einige Aufregung gesorgt. Was jedoch in praktisch allen auf diese Rede folgenden Kommentaren fehlte, war der Hinweis, dass „ der Verlauf des aktuellen Zyklus bisher von der Entwicklung der Unternehmensgewinne und der Investitionen bestimmt wurde und auch weiterhin bestimmt wird.“ Während nach der Talfahrt im Jahr 2001 im laufenden Jahr mit einer Stabilisierung dieser beiden Messgrößen zu rechnen ist, befürchten wir, dass der Markt die Risiken eines weiteren Rückgangs ebenfalls übersieht.
Insgesamt gilt, dass man kein Geld ausgeben kann, das man nicht hat. Erweiterungsinvestitionen können nur auf zweierlei Weise finanziert werden, nämlich entweder extern oder intern. Die Wahrscheinlichkeit, dass extern aufgenommene Mittel 2002 einen deutlichen Anstieg der Investitionsausgaben bewirken können, erscheint äußerst gering. Das billige Kapital, das zu Zeiten des Börsenbooms zur Verfügung stand, ist heute Geschichte.
Außerdem wird es den Finanzdirektoren angesichts der unsicheren Aussichten, der zunehmenden Skepsis des Marktes bezüglich der Fremdfinanzierung (insbesondere nach den Erfahrungen mit Enron) und vor allem der riesigen brachliegenden Kapazitäten schwer fallen, den Einsatz von Fremdmitteln für die Erweiterung ihrer Unternehmen zu rechtfertigen. Folglich ist der Motor für Investitionen der interne Cash Flow.
Keine Spielräume für Preiserhöhungen
Zugegebenermaßen wird sich bei den günstiger aufgestellten Unternehmen - teilweise auf Grund der Abschreibungen und Umstrukturierungen, mit denen 2001 „reiner Tisch“ gemacht wurde - im Laufe des Jahres 2002 eine Beschleunigung des Gewinnwachstums abzeichnen. Es gibt ein Börsianersprichwort, das besagt: "Auch eine tote Katze springt noch einmal auf, wenn sie nur tief genug fällt." Ertragszuwächse infolge solcher Verzerrungen sind weitgehend als Eintagsfliegen zu betrachten.
In seiner Rede räumte Greenspan ein, dass "... ein auffälliges Merkmal der derzeitigen zyklischen Entwicklung gegenüber vielen früheren Zyklen das faktische Fehlen von Spielräumen für Preiserhöhungen in weiten Teilen der amerikanischen Wirtschaft" ist. Angesichts der riesigen brachliegenden Kapazitäten rechnen wir nicht damit, dass solche Spielräume in der nahen Zukunft wieder hergestellt werden können.
Auch die neuesten Meldungen über die Umstrukturierung von Ford bestätigen diese Einschätzung der Lage. Ein Sprecher bemerkte, kein Autohersteller könne bei Überkapazitäten überleben, geschweige denn florieren und wies darauf hin, dass die Kapazitäten der Branche derzeit mit rund 22 Millionen Einheiten deutlich über der langfristigen Nachfrage liegen, die auf 16 bis 17 Millionen Einheiten geschätzt wird. Die Automobilindustrie steht hier nicht allein, und die anhaltende Schwäche der globalen Volkswirtschaften wird das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage 2002 weiter verschärfen.
Produktivitätssteigerungen werden dem harten Wettbewerb geopfert
Insgesamt haben zu viele Anleger darauf gesetzt, dass Produktivitätssteigerungen die Gewinne und die Investitionen aus der Talsohle holen würden. Natürlich teilen auch wir die Meinung, dass Produktivitätszuwächse den Lebensstandard der Bevölkerung erhöhen und Investitionen zur Steigerung der Produktivität beitragen. Der Umkehrschluss aber - dass nämlich Produktivitätssteigerungen höhere Gewinne und neue Investitionen nach sich ziehen und damit einen Aufschwung bewirken - steht auf einem weit wackeligeren Fundament.
Wir befürchten, dass im kommenden Jahr zwar vielleicht die Produktivität erheblich gesteigert werden kann, der aggressive Wettbewerb die Unternehmen aber zwingen wird, diese Einsparungen in einem aufreibenden Kampf um Marktanteile direkt an die Verbraucher weiterzugeben. Während dieser Trend einer Inflation entgegenwirkt, könnten die Gewinne und die Investitionen weiterhin zum Opfer dieses Verdrängungswettbewerbs werden.
Text: @kell
Bildmaterial: dpa