Inside: Nokia
Apple auf den Pelz gerückt
Neues Spiel, neues Glück? Dieses Mal ist es der finnische Handy-Riese Nokia, der an der totalen Dominanz von Apples iPod und dem iTunes Music Store zu rütteln versucht. Nach den völlig erfolglosen Versuchen anderer amerikanischer und asiatischer High-Tech-Konzerne nimmt nun der Handy-Weltmarktführer den Kampf um den Milliarden-Markt der Musik-Downloads auf.
Für 60 Millionen Dollar hat Nokia das US-Unternehmen Loudeye erworben, einen relativ unbekannten, aber einflussreichen Anbieter von Online-Download-Lösungen. Damit gewinnen die Finnen eine ähnliche Plattform wie jene, die Apple zum Triumph geführt hat.
Denn klar ist: Ein guter und vielleicht sogar preiswerter MP3- Player allein reicht nicht, um dem iPod-Konzept Paroli bieten zu können. Erst die Integration von Abspielgerät und Online-Plattform bringt den wichtigen Unterschied zwischen Kaufhausramsch und Musik-Konzept.
Loudeye ist mit einer Bibliothek von mehr als 1,6 Millionen Songs einer der führenden Anbieter von Download-Lösungen. Das Unternehmen entwickelte die Online-Musik-Auftritte für MTV, den Microsoft-eigenen Onlineshop MSN und andere. Zusammen mit dem größten Handy-Hersteller der Welt, der dieses Jahr vermutlich rund 40 Millionen MP3-fähige Handys unter die Leute bringen wird, kann die Loudeye-Plattform zu einer ernsten Gefahr für iTunes werden.
Denn obwohl Apple unangefochtener Marktführer mit voraussichtlich rund 50 Millionen verkauften MP3-Playern in diesem Jahr ist, stellt Nokia bereits jetzt mehr musiktaugliche Handys her. Was aber den Finnen noch gefehlt hat, ist die Integration ihrer Player mit einer Online-Plattform. Dieser Mangel wird nun durch die Loudeye-Übernahme behoben. Sogar noch etwas mehr: Anders als Apple bietet Nokia auch das mobile Herunterladen von Musik an – über das Handy. Und in diesem Bereich sehen Experten das künftige Wachstum.
Obwohl der Schritt des finnischen Riesen logisch erscheint, birgt er deutliche Risiken. Denn sollte Nokia über eine eigene Plattform den Handy-Käufern auch Musik anbieten, tritt das Unternehmen in direkte Konkurrenz zu seinen wichtigsten Kunden, den Telekom-Gesellschaften.
Die haben nämlich seit langem bereits eigene Online-Musikangebote; die deutsche O2 arbeitet sogar auf einer Loudeye-Plattform. Auf gute Kundenbeziehungen ist Nokia jedoch angewiesen, will der Handy-Gigant seine Vormachtstellung behaupten. Schließlich sind es die Telekom-Konzerne, die mit Rabatten und Subventionen den Verkauf der Handys steuern.
Und noch etwas: Bislang ist es außer Apple niemandem gelungen, ein intuitiv bedienbares, voll integriertes Musik-Konzept zu präsentieren. Gewiss wäre es schöner, mit nur einem Gerät in der Tasche herumzulaufen. Dafür aber wäre eine deutlich vereinfachte Handhabung der Handys nötig. Mit Mehrfunktionstasten oder ewigem Suchen im Menü nach dem MP3-Player wird der Vorsprung des iPod noch für einige Zeit kaum aufzuholen sein.
Dennoch dürfte die Loudeye-Übernahme, die noch vor Jahresende erfolgen soll, die Alarmglocken in Cupertino noch lauter klingen lassen. Denn mit diesem Kauf hat Nokia einen Riesenschritt in Richtung Komplettlösung vollzogen. Was dem Konzern noch fehlt, ist ein Konzept dafür, seine wichtigen Kunden nicht zu verprellen und gleichzeitig am milliardenschweren Online-Musik- Markt zu partizipieren.
Quelle: HANDELSBLATT, Mittwoch, 23. August 2006, 12:58 Uhr
Euer
Einsamer Samariter