Die Angaben im Oddo Seydler Research zur Roadshow sind in meinen Augen sehr aufschlussreich. Insbesondere werden hier die Wachstumsperspektiven wichtiger Neubereiche des Unternehmens erstmals detaillierter quantifiziert.
Wie zuvor hier diskutiert, basieren die Bewertungsansätze der Researchhäuser bisher primär auf dem "Altgeschäft" (Europace und Dr. Klein). Oddo Seydler bewertet das "Neugeschäft" (z.B. Versicherung und Immobilienvaluierung) z.B. mit 0. Die neusten Aussagen von Herrn Slabke lassen jedoch jetzt erstmals eine genauere Valuierung zu.
Konkret wird der Total Adressable Market im Insuretech-Bereich von Hypoport mit ca. 800 Mio. EUR angegeben:
- 200 Mrd. EUR Prämienvolumen Versicherung gibt es heute
- davon laufen derzeit 40% über Broker, ergibt 80 Mrd. EUR Broker-Prämien insgesamt
- Hypoport geht davon aus, 1% davon als Gebühr für seine Plattform vereinnahmen zu können, wenn diese dann mal vollständig ist (im Moment bietet man ja noch separate Einzelsysteme an, die vielfach aus Übernahmen stammen)
- 1% von 80 Mrd. ergibt daher 800 Mio. EUR Umsatzpotenzial für den Gesamtmarkt Insuretech
Soviel zu den Schätzungen von Hypoport. Nehmen wir mal an, Hypoport würde sich mit der integrierten Plattform so durchsetzen, wie man es sich erhofft. Dann wäre man als Early-Mover Marktführer. Nehmen wir weiter an, Hypoport könnte in diesem Idealfall einen Marktanteil von 50% erreichen. Das ergäbe dann also Umsätze von 400 Mio. EUR pro Jahr für den Versicherungsbereich.
Nur mal zum Vergleich: der Gesamtkonzern Hypoport hat im letzten Jahr kaum mehr als 150 Mio. EUR umgesetzt. Das zeigt bereits, dass das theoretische Potenzial in diesem Bereich sehr hoch ist. Aber wir können weitergehen:
Ich will einfach nur mal beispielhaft skizzieren, wie man dieses Potenzial aus heutiger Sicht evtl. bewerten könnte. Da es sich um ein "Start-up" in einem neuen Markt handelt, ist klar, dass eine solche Bewertung notwendigerweise auf starken Annahmen beruht und recht viel Ungewissheit enthält. Dieses operative Risiko gilt es entsprechend zu diskontieren in der Bewertung, damit man nicht wie Rocket Internet Bewertungsluftschlösser für seine Töchter baut. Also:
Klar ist, dass die Insuretech-Plattform--ebenso wie Europace--starke Skalenerträge aufweisen dürfte, da es sich um eine Softwareplattform handelt. Laut Hypoport sind die zugekauften Einzelkomponenten der Plattform bereits heute FCF-positiv, obwohl die Umsätze noch gering sind. In einem Idealszenario mit 50% Marktanteil wäre es daher in meinen Augen sehr konservativ, eine EBIT-Marge von 20% anzunehmen (vgl. hierzu die aktuelle Europace-Marge trotz noch deutlich geringerem Marktanteils). Dies würde zu einem recurring-EBIT von rund 80 Mio. EUR pro Jahr führen.
Nach 25% Steuern ergäbe sich daraus ein Nettoergebnis von 60 Mio. EUR pro Jahr. In einem solchen Szenario der erfolgreichen Marktführerschaft wären die Markteintrittsbarrieren für Mitbewerber sehr hoch. Es wäre daher in meinen Augen wiederum sehr konservativ, das wiederkehrende EPS dieses Bereichs im Erfolgsfall mit KGV 18 zu bewerten. Daraus ergäbe sich ein Wert der Plattform von 18 * 60 Mio. = 1,08 Mrd. EUR zum Zeitpunkt des Erlangens der Marktführerschaft.
Klar ist, dass der Aufbau eines hohen Marktanteils viele Jahre dauern würde. Nehmen wir an, es würde ganze 8 Jahre dauern, bis man am Ziel ist. Dann muss man den Wert entsprechend abzinsen auf heute. Nehmen wir dafür 8% Eigenkapitalkosten zum Abzinsen und rechnen 1% Inflationsrate an, so dass man netto bei 7% realen Eigenkapitalkosten ankommt.
Ich nehme weiterhin an, dass sämtliche operativen Cashflows in diesen 8 Jahren Aufbauarbeit komplett in den technologischen Ausbau und den Vertrieb der Plattform reinvestiert werden müssen. D.h. ich nehme konservativ an, dass die Plattform 8 Jahre lang keinerlei Net-Cash generiert. Dann landet man am Ende bei einem Barwert von 629 Mio. EUR heute.
Jetzt ist das aber natürlich nur die Modellierung des Erfolgsfalls, in dem man das Produkt als Marktführer platzieren kann und die erhofften 1% der Versicherungsprämie abgreifen kann. Wir müssen also noch die Möglichkeit des Scheiterns berücksichtigen.
Angesichts der Zahlen wird jedoch klar, dass selbst, wenn man eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns annimmt, der Erwartungswert der Insuretech Plattform sehr erheblich ist.
Nehmen wir z.B. an, dass die Plattform mit einer Wahrscheinlichkeit von 3/4 scheitert und in diesem Fall einen Wert von 0 hat. Dann wäre der Erwartungswert der Plattform heute dennoch (3/4) * 0 + (1/4) * 629 = 157 Mio. EUR. Das sind 25 EUR pro Aktie! (Wäre man hingegen sicher, dass man Marktführer wird, so läge der heutige Wert des Versicherungsgeschäfts bei 100 EUR pro Aktie, obwohl die Plattform per Annahme erst ab 2025 richtig dickes Geld verdient.)
Und das alles ist nur der Insuretechteil. Wie die Oddo Studie ausführt, hat auch der Immobilienvaluierungsteil nicht unerhebliches kommerzielles Potenzial.
Zwar sollte man solche Rechnungen wie die obige nicht allzu wörtlich nehmen, da so viele negative Abweichungen leicht möglich sind. Schließlich handelt es sich um eine (spekulative) Bewertung eines komplett neuen Produkts mit ungewissem Ausgang. Allerdings zeigen die Zahlen in meinen Augen dennoch recht klar, dass die Insuretech-Plattform ein sehr ernstzunehmendes Unterfangen ist.
Wenn die Platfform so laufen sollte, wie erhofft, dann sprechen wir nicht von ein wenig inkrementellem EPS-Wachstum. Sondern dann sprechen wir von einem wachstumsstarken zweiten Standbein neben Europace/Dr. Klein.
Wo auch immer der genaue Wert der Plattform liegen mag: der Erwartungswert ist in meinen Augen bereits heute beträchtlich und wird vom Markt noch in keinser Weise im Preis der Aktie reflektiert.