Artikel zu Heidelberger Druckm. AG

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Artikel zu Heidelberger Druckm. AG Disagio

Artikel zu Heidelberger Druckm. AG

 
#1
01.12.2003, 11:35 Uhr

Aktueller Kommentar: Heidelberg und Digitaldruck

Mit Vollgas in die Sackgasse?

Heidelbergs Neuausrichtung und die Folgen

Eine kritische Analyse
von Andreas Weber
Sprecher DigitaldruckForum, Mainz


Nun ist es raus. Die einstige Perle des deutschen Maschinenbaus,
Weltmarktführer Heidelberger Druckmaschinen, macht eine fulminante
Rolle rückwärts. Die zur Drupa 2000 stolz vorgestellten neuen
Wachstumsbereiche Rollenoffset/Zeitung und Digitaldruck werden gekippt
bzw. in Frage gestellt. Vorstandschef Bernhard Schreier ändert die
Strategie und trennt sich von zwei Vorstandskollegen. Das Unternehmen
erfährt eine Neuausrichtung auf das "Alte": Konzentration auf den
Kernmarkt Bogenoffsetdruck.

Was heißt das und welche Folgen entstehen?

Zunächst heißt das, Heidelberg verabschiedet sich vom
Markenversprechen, das den Konzern auf der Drupa 2000 zum Megastar
machte, für Milliarden-Wachstum und hohe Gewinne sorgte. Heidelberg war
Synonym für ein vollständiges Lösungsgebot für die Druckbranche und gab
die Garantie ab: "We secure the future of print media". Das ist ab
sofort hinfällig. Im Gegenteil: Heidelberg zwängt sich in die Nische
"klassischer Druck" - ohne Wachstumsaussichten (außer vielleicht in
Schwellenländern) - dafür aber mit gnadenlosem Verdrängungswettbewerb
und globaler Konkurrenz auf hohem Qualitätsniveau. Heidelberg als Marke
wird damit nicht mehr "aufgeladen", sondern „entladen".

Die sog. „Neuausrichtung" von Heidelberg hat aber noch einen anderen
Effekt: Der Markt wird gespalten, hier Offsetdruck - da Digitaldruck.
Das wird den ewig zaudrigen Offsetdruckanhängern gefallen. Halten doch

irriger Weise (und aus Unkenntnis) viele klassische Drucker den
Digitaldruck für den Feind des Offsetdrucks. Das Dilemma ist nur:
Offsetdruck-Anwendungen verzeichnen kein nennenswertes Wachstum mehr,
der Markt schrumpft bzw. die Wertschöpfungsmöglichkeiten konzentrieren
sich auf immer weniger Betriebe, die immer stärker automatisieren
müssen, einem anhaltenden Auftragsschwund und Preisverfall ausgesetzt
sind. Das Hauptproblem: Innerhalb der Offsetbranche gibt es keine
Differenzierungsmöglichkeiten mehr. Alle in der Druckbranche, im In-
und Ausland, tun quasi das gleiche auf gleichen Maschinen:
standardisiert Papier farbig bedrucken, immer schneller, immer besser,
immer billiger und damit immer vergleich- und austauschbarer.

Fatal erscheint, wenn Heidelberg-Chef Schreier und sein Finanzvorstand
Herbert Meyer einem grundlegenden Irrtum zum Opfer fallen. Stereotyp
wird die Werbekrise als Ursache für Investitionszurückhaltung und damit
den eklatanten Umsatz- und Erlösverfall bei Heidelberg genannt. Doch
schaut man genau hin, stellt man fest, dass Heidelberg-Equipment dort
gar nicht zum Einsatz kommt, wo ein Großteil der Werbegelder fließen.
Werbeausgaben im Printbereich sind überwiegend Media-Kosten für die
Schaltung von Anzeigen oder Beilagen in Zeitungen oder Magazinen, die
im Rollen- oder Tiefdruck hergestellt werden. Heidelberg-Kunden
verdienen ihr Geld dagegen im Akzidenzdruck, d.h. im offenen
Print-Kommunikationsmarkt für Firmen- und Privatkunden. Und der
gehorcht anderen Regeln als die Werbebranche und ist zudem statisch
nicht in vollem Umfang erfasst. Der Kommunikationsmarkt erlebt einen
Paradigmenwechsel: Nicht mehr bloß Reichweite, wie in der klassischen
Werbung üblich, sondern die Integration der Kommunikationskanäle
bezeichnet in der Wirtschaft das wichtigste Anliegen, inklusive einem
maximalen Grad an Individualisierung, um kostspielige Streuverluste in
der Kommunikation zu vermeiden. Das Zauberwort heißt
„Multi-Channel-Multimedia", um Markenführung, Marketing,
Direktkommunikation und Vertrieb synergetisch zu bündeln.

Führende Köpfe der Werbewirtschaft wie Prof. Sebastian Turner, CEO
Scholz&Friends, haben das längst erkannt. Der Digitalisierung der
Kommunikation kommt die höchste Priorität zu, gerade wenn Werbung
crossmediale Ansätze nutzen will. Längst verfolgen Konzerne wie Procter
& Gamble (der größte Werbungtreibende der Welt),
Kommunikationsstrategien, die auf ein Media Asset Management setzen:
Marken- und Produktmanager sollen über ein zentrales
Kommunikations-Cockpit ihre Kommunikations-Kampagnen effizient und
effektiv steuern sowie den Return-on-investment berechnen können.
Procter & Gamble realisiert dies bezeichnenderweise im Team mit Firmen
wie Hewlett Packard, die IT, digitales Workflow-Management und
Digitaldruck koppeln. Die logische Konsequenz: Wer die Digitalisierung
und Durchgängigkeit der Kommunikation ohne Medienbruch nicht mittragen
kann, ist mittelfristig raus aus dem Spiel. Heidelberg treibt dann
durch einen Ausstieg aus dem Digitaldruck sich und seine Kunden aus der
klassischen Druckindustrie quasi in eine selbst gewählte Isolation, die
zu reaktivem, willfährigen Verhalten führt.

5 Gründe für das bisherige Scheitern von Heidelberg im Digitaldruck

Das bisherige Scheitern von Heidelberg im Digitaldruck hat keine
Gründe, die im Kommunikationsmarkt zu finden sind - es ist Haus
gemacht. Fünf entscheidende Fehler sind erkennbar:

1. Der Einsteig in den Digitaldruck erfolgte in klassischer
Druckingenieursmanier. Der Fokus wurde auf die Entwicklung einer
Drucktechnologie/Druckmaschine gelegt, das offene Workflow-Management,
das die Verzahnung der neuen Dienstleistung Digitaldruck mit der
Wertschöpfungskette des Kunden (Drucksachenbestellers) ermöglicht,
wurde weitestgehend ignoriert.

2. Der Digitaldruck wurde in einem Joint Venture mit Kodak ausgelagert
und niemals als Teil der Heidelberg-Kultur integriert und akzeptiert.

3. Der funktionierende Marketing-Ansatz (Heidelberg als Lösungsanbieter
profilieren) und das Integrated Brand-Management, das Heidelberg seit
der Drupa 2000 konsequent etablierte, wurde auf Produkt- und
Vertriebs-Ebene nicht konsequent unterstützt und gelebt. Damit wurde
das starke Markenpotenzial von Heidelberg nicht voll ausgeschöpft.

4. Heidelberg hat seinen Kunden nicht plausibel machen können, dass
Digitaldruck ein neues Dienstleistungsgeschäft eröffnet, mit dem sich
Drucker differenzieren und über gewinnbringende Projektgeschäfte
dauerhaft ihre Kunden binden können.

5. Das Heidelberg-Topmanagement hat die Entwicklung im
Kommunikationsmarkt und beim Wettbewerb unterschätzt bzw. falsch
eingeschätzt. Innerhalb von 5 Jahren hat das Investitionsvolumen beim
Digitaldruck den Umsatz mit klassischen Offsetmaschinen um das
dreifache überflügelt (Offsetdruck rund 10 Milliarden Euro,
Digitaldruck größer 30 Milliarden Euro, jeweils weltweit, pro Jahr).
Digitaldruck-Anbieter wie Canon, HP, IBM, Kodak, Konica, Océ, Ricoh und
Xerox, u.a. investieren mehr Geld in die Entwicklung des Digitaldrucks,
als der Umsatz einer Firma wie Heidelberg ausmacht.

Resümee: Zukunft liegt im Digitaldruck - mit oder ohne Heidelberg

Heidelberg hat sich und seine Kunden in eine schwierige Situation
manövriert. Der Digitaldruck wird mit dem Offsetdruck in Konkurrenz
gesetzt, statt konsequent die neuen Dienstleistungsfelder durch
Digitaldruck (auch und gerade in Kombination mit Offsetdruck) zu
erschließen. Während die Kunden der Drucker auf neue Wege in der
Kommunikation mit Printmedien setzen, will Heidelberg zurück zum Alten.
Es ist aber zu bezweifeln, dass der Bogenoffsetmaschinen-Markt auf
Dauer tragfähig genug ist, um ein weltweit aufgestelltes Unternehmen
wie Heidelberg mit hohen Ertragsmöglichkeiten zu finanzieren. Der
Bogenoffsetdruck ist eine ausgereifte, perfekt funktionierende, aber
schon hunderte Jahre alte Technologie, die den Zenit ihres Lebenszyklus
überschritten hat und eine Individualisierung der Print-Kommunikation
technisch nicht zulässt. Das sehen übrigens auch hunderte von Druck-
und Kommunikationsfachleuten in Deutschland, Österreich, Schweiz und
Benelux so. Eine Adhoc-Online-Befragung des DigitaldruckForum ergab,
dass 93 Prozent der Befragten zustimmten: „Heidelberg begeht einen
Fehler, wenn es den Digitaldruck außer Acht lässt und verbaut sich die
Zukunft".* - 9% trauen Heidelberg nicht zu, im Digitaldruck-Markt
jemals erfolgreich zu sein, 1,5% halten aus diesem Grund einen Ausstieg
von Heidelberg aus dem Digitaldruck für richtig.*

Für Heidelberg-Chef Bernhard Schreier kann dies nur bedeuten, weitere
Fehler zu vermeiden und seine Bedenken bezüglich Digitaldruck zu
zerstreuen. Er darf sich auch den konservativen Kräften in der
Druckbranche (und im eigenen Haus!) nicht beugen, die am liebsten das
Rad zurückdrehen möchten. Insofern ist die noch bestehende
Partnerschaft mit Kodak für Heidelberg ein Rettungsanker - allerdings
am seidenen Faden. Und ganz wichtig: Eine klare Vision und
Positionierung für Heidelberg und seine Kunden in der Druckindustrie
muss her, die bleibt uns Bernhard Schreier auch nach der
„Neuausrichtung zum Alten" schuldig. Passiert dies nicht, wird
Heidelberg von den Entwicklungen abgeschnitten - und die Leitmesse
Drupa 2004 wird für das Unternehmen zum Debakel werden.

* (Basis 301 Einzel-Befragungen, Mehrfachnennungen möglich, Stand
1.12.03, 11 Uhr • Quelle: Digitaldruck-Forum.org, Mainz)


Für Rückfragen:
Andreas Weber, Sprecher DigitaldruckForum
weber@digitaldruck-forum.org


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