Die US-Investmentbank Morgan Stanley liefert (Artikel unten) eine neue Erklärung für die Ölpreis-Schwäche, die so "genial" ist, dass sie auch von Goldman stammen könnte.
Eigentliche Ursache des fallenden Ölpreises, behauptet Morgan Stanley, sei der erstarkende US-Dollar. Und weil der US-Dollar noch weiter zum Euro zulegen werde, werde auch der Ölpreis bis 20 Dollar sinken.
Das ist nichts anderes als das Spiegelbild der (mMn hanebüchenen) Goldman-Spinn-Story aus 2008: Damals hatte Goldman ständig behauptet, der hohe Ölpreis - US-Öl stieg in der Zeit bis 147 Dollar - sei eine Folge des ebenfalls zu der Zeit stark gefallenen US-Dollars (EUR/USD stieg 2008 bis 1,60).
Eine Interpretation des Welt- und Marktgeschehens, in der der US-Dollar die Hauptrolle spielt, ist natürlich voll und ganz nach dem Geschmack der US-Oberzocker. Ich fürchte nur, dass diese Schnapsidee wenig mit der Realität zu tun hat.
Die Realität ist vielmehr: 2008 haben Goldman und Co. bis zur Schmerzgrenze den Ölpreis hochgezockt. Das war lukrativ, weil man damit Firmen (z. B. Airlines) Absicherungsgeschäfte aufnötigen konnte. Diese waren für die Zockerbanken eine sichere und dank Arbitrage praktisch risikofreie Einnahmequelle. Möglich wurde das Hochgezocke des Ölpreises (und anderer Rohstoffkurse),
weil Clinton 1999 gleich zwei Schutzgesetze aus der Großen Depression gekippt hatte: Zum einen den Glass Steagall Act (aka "Trennbankengesetz"), der eine strikte Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken einforderte. Zum anderen wurden für Geschäfts- und Investmentbanken (die nun eh nicht mehr unterschieden wurden) die Beschränkungen im Future-Handel aufgehoben.
Im Klartext bedeutete dies: US-Banken konnten nun mit ihren Kundengeldern (u. a. Spareinlagen) hemmunglos das Öl hochzocken. In der Folge stieg US-Öl von 20 Dollar (bei 20 Dollar lief es von 1990 bis 2000 seitwärts) binnen acht Jahren auf astronomische 147 Dollar (Sommer 2008).
Dieser - faktisch durch Zockerei bedingte - Anstieg verlangte nach scheinbar rationalen Pseudo-Erklärungen:
- Die erste Spin-Story war "Oil Peak": Alle Inder und Chinesen wollen nun Auto fahren und Fleisch essen, hieß es allenthalben. Gleichzeitig gehe das Öl weltweit zur Neige. "Kein Wunder also", dass Öl so stark steigt.
- Die zweite Spin-Story war, dass wegen der hohen US-Verschuldung " der Dollar wertlos wird" und deshalb alle Sparer, Pensionsfonds, Hedgefonds, Zockerbanken, eigentlich jeder der kann, "in Sachwerte fliehen" - von Öl über Rohstoffe und Metalle aller Art bis zu Soft-Commodities wie Weizen.
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Morgan Stanley wärmt nun diese zweite Spin-Story - mit umgekehrtem Vorzeichen - wieder auf: Es sei nicht etwa die Ölschwemme der Saudis, die so stark auf die Ölpreise drücke. Nein, nein. Es sei vielmehr der inzwischen so "starke US-Dollar" (LOL).
www.marketwatch.com/story/...-not-for-the-reason-you-think-2016-01-11
Oil could fall toward $20, but not for the reason you thin
The oil-in-the-$20s club just got a new member. But Morgan Stanley’s case for another leg lower has less to do with a global glut of crude than it does with a strengthening U.S. dollar.
In a Monday note by analysts including Adam Longson, head of energy commodity research, Morgan Stanley argues that traders have put too much of the blame for recent weakness in commodities, especially oil, on market fundamentals. Instead, they contend that the primary driver over the last several months has been a strengthening U.S. dollar.
...And with China likely to further devalue its yuan currency (# 353) and the Federal Reserve in tightening mode (# 355), further dollar strength seems likely, the analysts said.
While oil markets are undoubtedly oversupplied, after a certain point, deteriorating fundamentals have little to do with the price action. “Oversupply may have pushed oil prices under $60, but the difference between $35 oil and $55 oil is primarily the USD (U.S. dollar), in our view...
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A.L.: An Humor und Hybris mangelt es den US-Bankern jedenfalls nicht.
Noch interessanter aber ist die Frage: Wenn will MS damit eigentlich ins Bockshorn jagen? Soll mit Pseudogründen noch mehr Abwärtsmomentum beim Öl generiert werden, um den Erzfeind Russland, der überwiegend vom Energieexport lebt, fertigzumachen? "Ein starker Dollar" bedeutet ja im Umkehrschluss auch "ein schwacher Rubel". Das ist Russlands zweite Achillesferse. Heute notiert USD/RUB bei 76 - ein Allzeithoch:
(Verkleinert auf 96%)