von Jochen Steffens
Alan Greenspan hat gestern eine seiner scheinbar „unqualifizierten“ Aussagen im Zusammenhang mit seiner Buchveröffentlichung qualifiziert. Er sagte, dass er sich in einigen Jahren wieder zweistellige Leitzinsen vorstellen könne. Nun fügte er auch die Begründung hinzu: Er glaubt, dass die deflationären Effekte der Globalisierung auslaufen werden.
Die deflationären Effekte der Globalisierung
Damit ist Folgendes gemeint: Durch die Globalisierung wurde eine Art freier „Weltmarkt“ geschaffen, auf dem gerade Billiglohnländer (z.B. China) Waren zu Schleuderpreisen verkaufen konnten. Diese billigen Waren führten allgemein zu einem enormen Preisdruck in bestimmten Warengruppen (z.B. Textilien).
Es war die Fed unter Alan Greenspan, die 2003/2004 auch aufgrund der möglichen Gefahr einer Deflation (wie in Japan) die Zinsen auf einem derart niedrigen Niveau belassen hat (wir hatten damals im Investor’s Daily darüber berichtet). Etwas später ist es dann wohl auch dieser Effekt gewesen, der die Inflationsgefahren, die normalerweise ein starkes Wirtschaftswachstums begleiten, gedämpft hat.
Ein Effekt, der so langsam verpufft...
Natürlich hat die Globalisierung mit der Zeit Anpassungseffekte hervorgerufen. Sprich, die billigeren Preise sind nun schon seit längerem „im Markt“, sie werden nicht mehr weiter stark sinken können. Noch billiger können auch diese Länder nicht produzieren. Die negativen Folgen dieses Preiskampfes haben in den letzten Jahren abgenommen. Viele Unternehmen sind bereits pleite, andere haben sich angepasst oder sind auf andere Märkte ausgewichen.
Das Ende des Preisdrucks
Der Preisdruck hat also an Kraft verloren, doch nicht nur das: Die steigenden Rohstoffpreise werden so langsam dazu führen, dass auch die Produkte der Billiglohnländer teurer werden - werden müssen. Zumal der plötzliche „Reichtum“ der Emerging Markets auch dazu führt, dass immer mehr neue Konsumenten entstehen (die zuvor keine Kaufkraft besaßen). Auch diese werden auf dem weltweiten Markt immer mehr Produkte nachfragen. Diese dadurch steigende Nachfrage wird sich zusätzlich preistreibend auswirken. Das ist ein ganz wesentlicher Umstand, der zurzeit noch kaum diskutiert wird.
Demnach ist es nur logisch, dass einer der deflationären Effekte der Globalisierung immer mehr an Wirkung verliert. Eben diese Billigprodukte der Billiglohnländer.
Wenn dieser dämpfende Effekt jetzt wegfällt, wird das zu einer Zunahme der Inflationsgefahren in einem nicht unerheblichen Ausmaß führen. Wenn in diesem Zusammenhang auch noch eine Ressourcenknappheit die Rohstoffpreise weiter nach oben treibt, könnte die Inflation ausufern und tatsächlich die (weltweiten) Notenbanken dazu zwingen, die Zinsen dramatisch anzuheben. So gesehen wären im absoluten Worst Case Szenario auch zweistellige Leitzinsen gerade in den USA denkbar. Doch das ist eine sehr langfristige Betrachtung.
Zurzeit dämpft unter anderem die Immobilienkrise die Inflation
Im Moment hilft den USA natürlich noch der massive Preisverfall der Immobilien. Denn dieser Preisverfall und die dadurch sinkende Bereitschaft zu bauen, führen eben auch zu einem Preisverfall der Waren von Unternehmen, die indirekt vom Immobilienboom profitiert hatten (Baustoffhersteller, Baumaschinenhersteller, etc).
Zudem führen steigende Agrarprodukt- und Energiepreise zu einer Verknappung des Geldes, das dem Konsum zur Verfügung steht. Dazu werden auch Hypothekenschuldner, die durch die gestiegenen Zinsen in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, nicht mehr konsumieren können. Wenn sich dazu nun auch noch eine Schwäche des Arbeitsmarktes gesellen sollte (die nächsten Zahlen kommen am Freitag), würde auch von dieser Seite eine Belastung auf den Konsum hinzu kommen.
Weniger Konsum bedeutet aber zunächst auch, stärkerer Konkurrenzdruck unter den Unternehmen. Das hat zur Folge, dass notwendige Preissteigerungen nicht durchgesetzt werden können. Auch auf diese Weise wird aktuell die Inflation noch gedämpft.
Rezessionsgefahren
Der Binnenkonsum ist in den USA allerdings zu 60-70 % für das Wirtschaftswachstum in den USA verantwortlich.
Wenn also gestern der ISM-Index sich wieder auf den Weg macht, die 50 Punkte Marke zu erreichen (ein Wert von unter 50 weist auf eine Schrumpfung des verarbeitenden Gewerbes hin), dann ist das im Gesamtkontext nicht verwunderlich. Denn diese oben genannten Belastungen des Konsums sind geeignet, das US-Wirtschaftswachstum „nachhaltig“ abzuschwächen.
Das Problem ist lediglich, dass der Markt eben diese mögliche, durch eine Abschwächung des Konsums verursachte Rezession meines Erachtens noch nicht eingepreist hat. Stattdessen hoffen die Anleger, dass die Zinssenkung der Fed die Wirtschaft (und den Konsum) wieder auf Trab bringen wird. Das ist aber aufgrund der oben genannten Effekte nicht zwingend.
Von der Deflation über die Inflation zur Stagflation
Sie merken, ich schreibe gerne von Deflation UND Inflation. Die erwarteten weiteren Zinssenkungen der Fed und die damit verbundene weitere Dollarabwertung wird die Inflation der Agrarrohstoffe und der Energiepreise weiter antreiben. Wenn dann noch die Preise der ehemaligen Billigprodukte aufgrund höherer weltweiter Nachfrage und der gestiegenen Rohstoffpreise ansteigen, könnten die deflationären Effekte durch den Konsumrückgang in den USA überkompensiert werden. Sobald das böse Wort "Inflation" ins Bewusstsein der Konsumenten dringt, wird dieser psychologische Effekt zusätzlich die Inflation anstacheln.
Wir reden hier allerdings nicht unbedingt von Wochen und Monaten, sondern eher von Monaten bis Jahren.
Quo vadis, Liquidität
Wenn die Fed die Zinsen tatsächlich weiter senken sollte - und darauf spekuliert gerade der Markt - wird sich auch dieses Mal die Liquidität irgendwo „sammeln“ und es wird nicht, wie bei den letzten Niedrigzinsen 2002/2004, der US-Immobilienmarkt sein. Dort haben sich zu viele die Finger verbrannt. Die Korrektur im US-Immobilienmarkt ist noch lange nicht vorbei.
Die Emerging Markets sind heiß gelaufen. Auch hier sind Investitionen nur begrenzt möglich.
Es kann also tatsächlich sein, dass diese Liquidität eine Weile den Aktienmarkt (und auch den Devisenmarkt, dazu evt.am Donnerstag mehr) flutet. Das würde jedoch nur dazu führen, dass die Schere zwischen fundamentalen Gegebenheiten (Inflation und Rezession) und Hoffnung der Anleger (Die Notenbank wird’s schon richten) weiter auseinander klafft.
Je länger desto crash
Und eben das ist fast immer eine Vorbereitung für einen Crash. Hier gilt: Je weiter diese Schere auseinander geht, desto stärker wird der Crash.
Jetzt gilt es, nur noch eine Frage zu klären: Wann?
Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass wir in diesem Oktober/November eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen Crash (15-20 % Einbruch) haben. Doch diese liegt auch aufgrund der frühen Zinssenkung seitens Ben Bernanke noch unter 50 %. Das heißt, man sollte darauf vorbereitet sein, aber nicht unbedingt sein ganzes Geld darauf setzen.
Bald kommt der Kamineffekt der Präsidentschaftswahl
Zudem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass, wenn dieser Crash ausbleibt, wir aufgrund des US-Präsidentschaftswahljahr 2008 mit weiter steigenden Kurse bis Ende 2008 rechnen müssen (Präsidentschaftszyklus). Die USA wird auf einen neuen Präsidenten oder sogar Präsidentin hoffen. Hoffen, dass dann alles besser wird. Das kann die Kurse beflügeln und vollmundige Wahlversprechen können von den Gefahren eine Weile ablenken.
Damit bleiben die Prognosen wie gehabt: Vergleichsweise hohe Crash-Gefahr im Oktober, ansonsten ist spätestens 2008 (evt auch früher) mit weiter steigenden Kursen zu rechnen. Steigen die Kurse 2008 wird es ab Januar 2009 bitter werden (spätestens ab 2010 dann richtig bitter). Für uns als Trader werden aufgrund der Abgeltungssteuer ab 2009 natürlich herrliche Zeiten beginnen, egal wohin die Börse auch treibt.
Doch wir tanzen auch jetzt schon auf einem Baisse-Vulkan, der jederzeit vorher ausbrechen kann! Ob Ben Bernanke das Feuer in diesem Vulkan löschen kann? Wir werden es erleben.